Liebe Genossen und Freunde,
wir veröffentlichen eine Hommage von Dr. Peter Veleff für Admiral a.D. Hoffmann, die uns zeigt, welche Wertschätzung seine Tätigkeit nicht nur in der Nationalen Volksarmee und in der Deutschen Demokratischen Republik erfuhr, sondern auch darüber hinaus im Ausland. Ebenso wird in dieser Schrift deutlich, dass realistisch Denkende durchaus erkannten, welche Rolle der militärischen Führung und den bewaffneten Organen der DDR, für den friedlichen Verlauf der Ereignisse in den Jahren 1989/90 zu kommt.

Eine Hommage von Dr. Peter Veleff
für
Admiral a.D. Theodor Hoffmann

Ich habe während meiner langjährigen wissenschaftlichen Recherchen zur Bedrohung der Schweiz im Kalten Krieg auch auf der östlichen Seite des einstigen "Eisernen Vorhanges" eine Reihe von wertvollen Menschen aus verschiedenen, auch hohen Stellungen angetroffen und persönlich kennengelernt. Deren Ideologie und ihre politischen Überzeugungen waren nicht die meinen. Ich habe aber viele von ihnen als integre Menschen mit hohem Pflichtbewusstsein erfahren. Menschen, die ehrlich an eine gute Sache und an hohe Ideale glaubten und nach Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg einer friedlichen und besse-ren Welt dienen wollten.

Einer von ihnen ist Theodor Hoffmann.

Ja, auch auf der Ostseite gab es bei der Wiedervereinigung Deutschlands besonnene Leute, die heute noch unseren Dank verdienen.

Rund einen Monat nach dem dramatischen Fall der Berliner Mauer mit Öffnung der DDR-Grenzen zu Westberlin und der BRD, sorgte am Neujahrstag 1990 ein bis dahin in der NVA unvorstellbares Ereignis für Schlagzeilen: „In Beelitz streiken die Soldaten !"

Beiderseits der Straße zu dem militärischen Objekt, sichtbar von der vorbeiführenden Autobahn, saßen und lagen Soldaten an offenen Feuern, in Decken gehüllt und mit Kerzen in den Händen. Von einem Panzerdenkmal herab hing ein Tuch mit der Aufschrift: „Wir sind auch Menschen!". Ein Bild also, das bei jedem militärischen Vorgesetzten ein Grauen auslösen musste und einen westlichen Journalisten zu der Äusserung veranlasste, „dass da in der Bundeswehr umgehend die Feldjäger ausrücken würden." 

    Nach einer Fernseh-Ausstrahlung von Bildern aus Beelitz fuhren in Strausberg vor dem dortigen NVA-Kommando Soldaten-Delegationen aus zwei Kampfdivisionen vor. Sie verlangten gebieterisch ein sofortiges Gespräch mit dem Verteidigungsminister, erhoben zahlreiche Forderungen und drohten für den Weigerungsfall mit Lynchjustiz und der Ausfahrt von Panzern in Richtung Berlin.

    Diese Vorfälle zeigten, unter welch schwierigen, ja chaotischen Zuständen der kurz vorher von der Staatsführung neu eingesetzte Verteidigungsminister, Admiral Theodor Hoffmann, sein Amt angetreten hatte. Zustände, für die er als bisheriger Chef der Volksmarine nicht verantwortlich war.

    Am 15. November 1989 war der, von keiner Seite angefochtene und frei von Verdächtigungen unkorrekter oder gar korrupter Handlungen oder politischer Belastungen geachtete Vizeadmiral völlig unvorbereitet aus einem Dienstrapport in Rostock nach Berlin gerufen worden: „Genosse Hoffmann, setz' Dich in Dein Auto und komme sofort zu mir!". So lautete lakonisch der Befehl seines obersten Vorgesetzten, des amtierenden Verteidigungsministers und Mitgliedes des Politbüros, Armeegeneral Heinz Keßler. Erst ein zweites Telefonat, diesmal aus dem Politbüro direkt, ließ erahnen, was ihn in Strausberg erwartete: Hoffmann war vorgesehen, durch die Volkskammer als Verteidigungsminister in eine neu zu bildende Regierung unter dem in Ost und West als Reformer und Anhänger radikaler poli-tischer Veränderungen geltenden Hans Modrow gewählt zu werden. Ein hohes und schwieriges Amt also, das Hoffmann weder je selbst gesucht, noch angesichts der chaotischen Zustände im Land wäh-rend des inneren Zusammenbruches der bisherigen SED-Herrschaft angestrebt hatte.

    Admiral Hoffmann übernahm es trotzdem. Er tat es aus Pflichtgefühl und Loyalität heraus für den Staat, der seine Heimat war, vor allem aber für die Hunderttausenden von Angehörigen der Streit-kräfte, deren persönliche Zukunft ungewiss war und die gerade darum jemanden brauchten, der ihr Vertrauen genoss. Hoffmann entschloss sich endgültig für die Übernahme der Aufgabe nachdem ihn sein früherer, langjähriger und von ihm verehrter Vorgesetzter, Admiral a.D. Wilhelm Ehm, ermahnt hatte:

„In einer normalen Zeit wärst Du nie Minister geworden. Aber es ist keine normale Zeit, und es ist wohl auch nicht so leicht, einen anderen einzusetzen. Du musst die Funktion übernehmen und Du kannst es auch schaffen, weil Du sowohl hartnäckig in der Verfolgung erkannter Ziele als auch kompromissfähig im Umgang mit Anderen bist. Beide Eigenschaften sind wahrscheinlich heute nötiger denn je."

    Umgehend nach seinem Amtsantritt als Minister leitete Hoffmann zusammen mit vielen verantwor-tungsbewussten Mitarbeitern seines Stabes und Truppen-Kommandeuren, unterstützt vom neuen Ministerpräsidenten, eine tiefgreifende Armeereform ein. Aus den militärischen Streitkräften, die von der bisher allein herrschenden SED durchdrungen war, sollte rasch eine neue, von allen parteilichen Bindungen befreite Armee entstehen, die nicht mehr einer einzelnen Partei, sondern nur noch einer durch freie Wahlen bestimmten Volksvertretung (resp. der durch diese ernannte Regierung) verpflichtet sein würde. Kurz: eine 'Volksarmee' im wahren Sinne des Wortes.

    Mit welch außergewöhnlichen Schwierigkeiten, inneren und äußeren Problemen und in der dama-ligen Zeit oft plötzlich überraschenden Ereignissen, sich der neue Minister und sein Mitarbeiterstab schon in den ersten Stunden und Tagen nach Amtsantritt unter hohem Zeitdruck konfrontiert sahen, hat Theodor Hoffmann in seinem Buch „Das letzte Kommando“ festgehalten.1

    Zurück nach Beelitz: Als Minister Hoffmann sich Anfang Januar 1990 unter diversen Möglichkeiten dazu entschlossen hatte, in Berücksichtigung der damaligen, für alle Bürger besonderen Verhältnisse, den in Beelitz ausgerasteten Soldaten nicht einfach mit Gewalt zu begegnen, sondern ihnen als obers-ter Chef persönlich gegenüber zu treten, stieß sein Vorgehen in militärischen Kreisen begreiflicherweise da und dort auf blankes Unverständnis. Ergebnis aber seines für einen Befehlshaber eher ungewöhnli-chen Besuches: Nachdem sich der Minister geduldig die Beweggründe und die Sorgen seiner Unter-stellten angehört, eine Reihe von Fragen offen beantwortet, gleich auf der Stelle behandelt oder aber auch Forderungen klar zurückgewiesen hatte, forderte er seinerseits von den Anwesenden, sich nun wieder als disziplinierte Soldaten zurück an ihre Arbeitsplätze zu begeben. Diese erhoben sich, applau-dierten ihrem Minister für sein menschliches Einfühlungsvermögen und gingen anstandslos zurück zum Dienst.
 
    Auch die Panzer der 9. Panzerdivision rollten nicht aus ihren Standorten. Wäre so etwas tatsächlich erfolgt, hätte dies in der damals in der DDR gegebenen, bis zum Zerriss blanker Nerven angespannten Zeit, zudem angesichts voll kampffähiger sowjetischer Truppen im Lande, wohl unweigerlich zu blu-tigen, unabsehbaren Eskalationen führen müssen. So aber konnte Minister Hoffmann mit dem Vertrau-en weiter Kreise in die Glaubwürdigkeit seiner Amtsführung die begonnenen Arbeiten seines Minis-teriums für tief greifende Wandlungen in den Streitkräften fortsetzen. Diese Kreise umfassten nicht bloß militärische, sondern auch politische, wie z.B. den so benannten 'Runden Tisch'. An diesem 'Run-den Tisch' saßen nicht nur Sprecher der verschiedenen Bürgerbewegungen als Vertreter der demons-trierenden Bürger auf den Straßen, sondern ebenso besonnene Vertreter der Kirchen und der Regie-rung. Gemeinsames Ziel übrigens war in den Wochen der gewaltfreien Revolution nicht die Beseitigung der DDR, sondern deren Umwandlung in einen demokratischen, aber gleichwohl sozialistischen Staat ohne Machtmissbrauch durch eine einzelne Partei. So entsprechend auch dem damals in Ost und West viel beachteten Aufruf "Für unser Land" einer geistigen Elite, zu deren Erstunterzeichner bekannte Persönlichkeiten wie Christa Wolf, Stephan Heym, Volker Braun, Frank Beyer, Konrad Weiß, Bischof Christoph Demke, Generalsuperintendent Günter Krusche, Pfarrer Friedrich Schorlemmer und viele andere aus allen Gesellschaftskreisen gehörten. Auch dieser Aufruf, der damals auf große Zustimmung in der Bevölkerung und in der Armee stieß, hatte nicht die Abschaffung der DDR zum Ziel, sondern, (Zitat) „dass wir auf der Eigenständigkeit der DDR bestehen und versuchen, mit allen unseren Kräften und in Zusammenarbeit mit denjenigen Staaten oder Interessengruppen, die dazu bereit sind, in unserem Land eine solidarische Gesellschaft zu entwickeln, in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind". Erst später verlief die Entwicklung im Lande in eine andere Richtung. 

     Würde es eines weiteren Beweises für hohes Verantwortungsgefühl, Loyalität und Pflichtbewusst-sein gegenüber anvertrauten Menschen bedürfen, so wäre auf die weitere Tätigkeit Hoffmanns nach den im Frühjahr 1990 stattgefundenen Neuwahlen der Volkskammer und der Regierung zu verweisen. Ein Ergebnis der Wahlen, an denen sich erstmals alle inzwischen entstandenen Parteien frei beteiligen konnten, war die Bildung einer neuen Staatsregierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU). Als neuer Verteidigungsminister in dieser Regierung wurde der von der Bürgerbewegung „Demokratischer Aufbruch" portierte Pfarrer Rainer Eppelmann bestimmt.

    Anstatt nun – wie von ihm erwünscht – nach hektischen, nervenaufreibenden Monaten als Minister in den verdienten Ruhestand entlassen zu werden, übernahm Hoffmann – auf ausdrückliches Ersuchen und Wunsch seines Nachfolgers Eppelmann! – die neu geschaffene Funktion als Chef der NVA, als militärischer Chef aller Teile der Streitkräfte. Um seine weitere militärische Tätigkeit in dieser Stellung hatten ihn – trotz seines Hinweises, dass dafür durchaus eine ganze Reihe geeigneter jüngerer und 'unverbrauchter' Offiziere zur Verfügung stehen würden – nicht nur sein Nachfolger gebeten, sondern auch einige seiner bisherigen engen Mitarbeiter. Zu ihnen gesellte sich zudem der Vertreter des Ober-kommandierenden der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages, der sowjetische Armeegeneral Schuraljow. Auch dem nach wie vor vorhandenen militärischen Bündnispartner Sowjetunion durften die Entwicklungen in der DDR und deren Streitkräfte nicht gleichgültig sein. Hatte doch erst noch im Dezember 1989 der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und damit militä-rischer Oberkommandierender über die gesamten Streitkräfte des östlichen Militärbündnisses, Michael Gorbatschow, vor dem Zentralkomitee in Moskau öffentlich kund getan: „Wir erklären mit aller Entschiedenheit, dass wir die DDR nicht im Stich lassen werden!".

    Die Frage ist erlaubt: Wo auf der Welt wäre ein hoher militärischer Chef oder auch ein Politiker bereit, sich unverschuldet nach nur fünfmonatiger Amtszeit als Minister wieder abschieben zu lassen, um anschließend in einer tieferen, seinem Nachfolger unterstellten Stellung eine von vornherein un-dankbare Aufgabe weiterzuführen? Als Unterstellter eines neuen Verteidigungsministers übrigens, der über keine militärischen Kenntnisse verfügte, sondern bisher nur als Wehrdienstverweigerer, Bausoldat und Anti-Militär bekannt war. Hoffmann hat es wiederum um der Sache willen und aus Sorge um die Zukunft seiner Armeeangehörigen getan, auch wenn seine bisherige Reformer-Tätigkeit nicht überall auf Zustimmung oder gar Dank gestoßen war. So musste er da und dort selbst seitens von Militärs Schmähungen ertragen, die in dem Vorwurf gipfelten, ein "Landesverräter" geworden zu sein! Er hat seine Pflichten auch dann weiter erfüllt, als sich zunehmend Enttäuschungen einstellten, sein Land anstelle einer, zunächst erhofften und auch im Westen verkündeten, langsamen 'Annäherung zweier deutscher Staaten' – mit 'vorläufig zwei deutschen Armeen beiderseits ohne Bündnisverpflichtungen' – immer rascher einem abrupten Ende entgegen ging und seine Aufgabe praktisch nur noch darin be-stand, die eigene Armee "abzuwickeln" und aufzulösen. Wie er es erlebte – erleben musste – hat er in seinem Buch „Das letzte Kommando“ eindrucksvoll beschrieben.

    Am 12. November 1989 begab sich kein Geringerer als der damalige deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Begleitung des Berliner Bürgermeisters Walter Momper an die Grenzüber-gangsstelle Potsdamer Platz. Er bedankte sich bei den DDR-Grenzsoldaten mit Blumen für besonnenes Handeln anlässlich der Grenzöffnung vom 9. November, durch das ein Blutvergießen vermieden worden war. Heute wird in vielen Medien – und das sehr zu Recht! – auch den damals auf den Straßen von Dresden, Leipzig und anderen Städten demonstrierenden Bürgern gedankt, die der Parole "Keine Ge-walt!" gefolgt waren und damit in gleicher Weise eine gefährliche Eskalation vermie-den hatten. Glei-cher Dank würde aber auch einer Reihe von NVA-Generälen gebühren, die sich in jenen kritischen Ta-gen schlicht weigerten, allenfalls einen Einsatz von Soldaten gegen zivile DDR-Bürger in Erwägung zu ziehen. Es darf in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass m.W. auch auf der Seite der Staatsorgane keine einzige von abertausenden geladenen Dienstwaffen gezogen wurde. Als der noch amtierende Staats- und Parteichef Erich Honecker in Erwägung zog, zur Abschreckung von Demons-tranten in Leipzig Panzer durch die Straßen fahren zu lassen, erhob sich umgehend Protest und Wider-stand seitens von NVA-Generälen gegen jeden Missbrauch der Armee. Und bei der Flotte gab deren damaliger Chef, Vizeadmiral Hoffmann, eine offenbar aus dem Politbüro ergangene Weisung des Ver-teidigungsministers, die Volksmarine in den höchsten Alarmzustand zu versetzen, nicht als Befehl wei-ter. Ein solches Verhalten trug dazu bei, dass auch in den schwer bewaffneten Verbänden der NVA kein gefährlicher Funke in ein Pulverfass geriet oder ein Einzelner ganz einfach ausrastete.

    Admiral Theodor Hoffmann ist ein Marineoffizier, der auch in stürmischer Zeit weder seine Truppe noch sein Land im Stich gelassen hat. Er blieb im wahrsten Sinne des Wortes bis zuletzt „auf der Brücke“.


Peter Veleff (Schweiz)

(Oberstleutnant a.D., Dr. Peter Veleff war Untersuchungsrichter und Generalsekretär der Militärdirektion des Kantons Zürich. 1961 wirkte er zudem als Generalsekretär der Schweizer Delegation in der Neutralen Überwachungskommission für den Waffenstillstand in Korea und 1967 nach dem Sechstagekrieg in Israel als Delegierter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Jerusalem. Er schrieb die Bücher „Spionageziel Schweiz?“ und „Angriffsziel Schweiz?“, in denen er die Mär von der Bedrohung der Schweiz durch die Geheimdienste und die Streitkräfte der DDR widerlegt.)

 

1 „Das letzte Kommando. Ein Minister erinnert sich“,
  Verlag E.S. Mittler und Sohn, Berlin-Bonn-Herford, 1994.

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