Bemerkungen zum Film
der dänischen Filmemacherin Signe Astrup:
„Die vergessene Armee“

Am 04. und 07. Mai 2017 hatten die Mitglieder der Regionalgruppe, der Pionierkameradschaft und des Freundeskreises ehemaliger Truppenaufklärer von Schwerin die Möglichkeit, im Rahmen des Schweriner Filmkunstfestes den Film „Die vergessene Armee“ der dänischen Filmemacherin Signe Astrup zu sehen.

Die Filmmannschaft konnte bei der Festveranstaltung anlässlich des 60. Jahrestages der NVA nicht nur ausgiebig filmen sondern auch jederzeit bei großer Bereitschaft aller Teilnehmer, offen mit ihnen über alles sprechen.
Da diese große Veranstaltung ja maßgeblich von den Schwerinern organisiert und durchgeführt wurde, kamen die Filmbesucher natürlich mit großer Spannung und Erwartung zur Vorführung. Hinzu kam, dass der Kreis der Kinobesucher nicht nur diesen Personenkreis betraf. Am 01. Mai hatte die Regional-gruppe an ihrem Informationsstand (!) auf dem Marktplatz von Schwerin mit Handzetteln darauf auf-merksam gemacht. So ergab sich, dass am 07.05. die Plätze im Kino nicht ausreichten allen Interes-senten einen Platz zu bieten.

Nun, wie wurde der Film im Nachhinein betrachtet?
Positiv wurde bereits in der dem Film folgenden Diskussionsrunde vermerkt, dass die Regisseurin wie sie auch selbst sagte, sich um Sachlichkeit bemüht hatte und um gegenseitige Achtung. Das sehe auch ich so.
Aber es hieß ja, es ist ein Film über die vergessene Nationale Volksarmee der DDR. Um es vorweg zu nehmen. Die weiteren Betrachtungen sind vor allem von meiner Sicht der Dinge geprägt, von meiner langen Dienstzeit und den damit verbundenen Erfahrungen in dieser und der nachfolgenden Zeit. Allerdings stimmen viele der Kinobesucher mit mir überein.

Um es auf einen Nenner zu bringen: Bei einer wissenschaftlichen Arbeit wäre die Wertung gefolgt: „Thema verfehlt!“ Warum? Im Film spielt die NVA nur eine untergeordnete Rolle. Man könnte ironi-scherweise folgern: insofern stimmt der Titel: „Die vergessene Armee“! Eigentlich schade und eine Enttäuschung.
Daher sei mir gestattet, nicht nur mit einigen wenigen Worten darüber zu schreiben.

Der Film beginnt mit einem Marsch, nicht einem der NVA sondern des MfS. Ich kannte ihn bis dahin nicht. Im Film kommen zum größten Teil Personen und Handlungen vor, die nicht zur NVA gehören: Grenztruppen, MfS und Polizei. Aber auch deren Geschichten sind nur Kleinepisoden. Die NVA ist lediglich drittrangig. Die wiederholten Szenen zu Akten der Staatssicherheit wirkten ebenfalls reichlich deplatziert. Um mich richtig zu verstehen, es wurden auch die Geschichte, die Entwicklung usw. dieser Bereiche unterrepräsentiert dargestellt. Was ich im Folgenden zur NVA schreibe, trifft auch auf diese mehr oder weniger zu. Beispielsweise standen die Grenzer permanent und weitaus stärker unter Gefahrendruck als die meisten Soldaten der NVA.

Also, wenn ich einen Film zu dem Thema „Die vergessene Armee“ mache, muss ich mir erst einmal klarmachen, wie diese große Komplex entstand, wie er sich über einen langen Zeitraum entwickelte, warum er nicht mehr existiert wofür er stand usw. Wie haben die Soldaten wann und wo gelebt und gearbeitet. Angaben zu Kasernen, Bewaffnung und Ausrüstung, Ausbildung usw., Freizeit, Familien und Wohnen, Versetzungen und ihre Folgen, alles Fehlanzeige. Wie hat sich die NVA in der Wendezeit verhalten? Als wahre Armee des Volkes, den Beschlüssen des Parlamentes, der „Volkskammer der DDR“ folgend, also den der regierenden Parteien. Die NVA hatte Waffen. Trotz aller Provokationen und den beginnenden Diskreditierungen fiel kein Schuss! Diesem ehrenhaften Verhalten folgte die Unehren-hafte Praxis der an der Macht befindlichen. Wider besseres Wissen wird auch heute noch ein „Schieß-befehl“ aufgetischt. Für die Soldaten der NVA und gleichermaßen der anderen Schutz- und Sicherheits-organe gab es klare Dienstvorschriften. Dazu gehörte auch die Schusswaffengebrauchsvorschrift, die sich übrigens kaum von der in der Bundeswehr unterschied. Wer dagegen verstieß und das galt auch für Vorgesetzte, musste mit entsprechender Bestrafung rechnen. Insofern war das gezeigte Beispiel auch nicht prägend. Was der Film verschwieg, der Vorgesetzte dieses Grenzsoldaten wurde dafür bestraft und unehrenhaft entlassen! Soviel über diese Halbwahrheit, die nun mal keine Wahrheit ist.

Dann kommt irgendwann die Frage: „Vergessen, warum, welche Auswirkungen, wer hatte und hat den Nutzen und wer das Gegenteil? Wer trägt dafür die Verantwortung usw. usf.?“ Mir erscheint, die Regisseurin hatte zwar ein Anliegen aber keine Konzeption! Wollte sie keine qualifizierte Beratung, hat man ihr keine angeboten usw. usf.? Fachberatung gehört doch zum Einmaleins in solchen Fällen. Das muss sie doch gelernt haben. So ergibt sich ironischerweise der Schluss: im Film wurde die
NVA vergessen!

Die, wie mir fast scheint an den Haaren herbei gezogenen Negativbeispiele zeigen weder den Charakter der NVA noch belegen sie ihren Auftrag: die Verteidigung des Landes. Die NVA hat keinen Krieg geführt. Sie hatte sich allerdings wie jede Armee darauf vorzubereiten sonst wäre ihr Auftrag ja Illusion gewesen. Man sagt, die Armee ist auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Daher gibt es auch in der Armee immer mal Menschen, die gegen die vorgeschriebene Disziplin verstoßen oder gar kriminell werden. Die Möglichkeiten, Befehlsgewalt oder Macht zu missbrauchen bestehen latent. So etwas gab es in Einzelfällen auch in der NVA. Als ich vor vielen Jahren einmal im Internet den Bericht des Wehrbeauftragten des Bundestags zu solchen Ereignissen in der Bundeswehr lesen konnte, war der erste Gedanke: da war ja die NVA ein Waisenknabe.
Lässt man es zu oder geht man dagegen vor, ist erst einmal von besonderer Bedeutung. Manchmal ist es Nachlässigkeit, selten Vorsatz. Strafbar kann es in vielen Fällen sein und so wurde es in der NVA gehandhabt. Wer Einzelfälle verallgemeinert begibt sich selbst auf diese Ebene. Das aktuelle Beispiel des rechtsradikalen Offiziers in der Bundeswehr zeigt es. Die oberste Vorgesetzte hat jahrelang nichts dagegen getan, beschimpft aber die gesamte Armee, darunter nicht wenige daran unbeteiligte, nur nicht sich selbst. Das nennt man Führungsversagen. Bauernopfer werden dann schnell gefunden.

In einem realen Krieg können Menschen mit krimineller Energie besonders leicht zu unmenschlichen egoistischen Kreaturen werden wenn man ihnen nicht Einhalt gebietet, unbedingt begonnen bei den dafür Verantwortung tragenden Politikern und Vorgesetzten. Als Kriegskind habe ich noch allzu gut die Erinnerung an Unrecht und Verbrechen. Die Gegenwart zeigt es leider mehr als zur Genüge. Wer glaubt, dass es Deutschland nicht erreichen kann, irrt sich wenn er weiter auf jene setzt, die den Marsch wieder in diese Richtung blasen.

Die NVA und damit alle ihre ehemaligen Angehörigen unterliegen nach meiner Erfahrung nach wir vor einer gesteuerten und von vielen der Mächtigen unterstützten Diskriminierung bis hin zur Kriminalisierung. In dieser Hinsicht vergisst man bis heute die NVA ja nicht. Wer sich dafür noch bedanken sollte, könnte sich wohl kaum selbst am Spiegel in die Augen schauen. Meinungen wie die der Familie Fischer im Film werden daher von vielen geteilt, mit der Maßgabe einer DDR ohne ihre Fehler und Mängel.

Man hätte daher eine ausgewogenere und umfassendere Darstellung über die NVA erwartet. Nun wird der Film leider keinem gerecht, weder den ehemalige NVA-Soldaten noch jenen die kein reales Bild davon in die Öffentlichkeit lassen wollen.

Oberstleutnant a.D. Dietrich Biewald

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