Die Schlacht von Dien Bien Phu –

das Ende der französischen Kolonialherrschaft in Indochina

von Kapitän zur See a.D. Horst Kerzig

 

Vorgeschichte

Am 18.02.1859 eroberten französische Kolonialtruppen das südvietnamesische Saigon. Von Saigon aus wurde bis 1884 ganz Vietnam besetzt, 1887 erfolgte die Zwangsunion mit Kambodscha, 1893 die Vereinigung mit Laos – Französisch-Indochina war entstanden.

Gegen die koloniale Unterdrückung gab es viele Aufstände, sie waren aber lokal begrenzt und unorganisiert und somit zum Scheitern verurteilt. 1940 kam zur französischen Kolonialherr-schaft noch die japanische Besetzung hinzu und es entstand unter Führung der Viet-Minh (1941 auf Initiative der KP Indochinas gegründete antikolonialistische Befreiungsfront Vietnams) eine Widerstandsbewegung gewaltigen Ausmaßes.

1942 formierten sich bewaffnete Widerstandskämpfer, aus denen 1944 die Volksbefreiungs-armee hervorging. Im August 1945 führte der nationale Volksbefreiungskampf zur Beseiti-gung der französischen Kolonialherrschaft in Vietnam und am 02.09.1945 wurde in Hanoi die Demokratische Republik Vietnam für das gesamte vietnamesische Territorium ausgerufen. Erster Präsident wurde Ho Chi Minh.

Frankreich wollte natürlich nicht auf seine Kolonien verzichten, noch im September 1945 landeten französische und britische „Ordnungstruppen“ in Saigon unter dem Vorwand, die Entwaffnung und den Abzug der japanischen Truppen zu überwachen. Mit gleichem Vorwand wurden von der chinesisch-vietnamesischen Grenze im Norden unter dem Einfluss der USA 200.000 Mann der Guomindang-Armee in Richtung Hanoi entsandt. Trotz dieser unterstützenden Maßnahmen musste sich Frankreich Anfang 1946 eingestehen, dass die Wiederinbesitznahme ihrer ehemaligen Kolonie im Handstreich gescheitert war. Die Franzosen spielten auf Zeitgewinn, boten Gespräche an, die aber auf Grund unzumutbarer Forderungen der französischen Seite im September 1946 scheiterten. Inzwischen hatten aber die Franzosen mit finanzieller und materieller Unterstützung der USA ihre Truppen auf eine Stärke von 70.000 Mann gebracht und schwere Waffen herangeführt.

Vor allem im Norden des Landes häuften sich militärische Provokationen der Franzosen. Mitte November 1946 wurde von den Franzosen für den Raum Haiphong der Ausnahme-zustand verkündet, am 22. November eröffneten die Franzosen unprovoziert das Feuer auf vietnamesische Einheiten und forderten deren Abzug. Zeitgleich besetzten französische Truppen Provinzstädte im Norden des Landes. Im Dezember landeten Französische Fall-schirmjäger in Hanoi und in den Abendstunden des 19. Dezember wurde der Amtssitz von Präsident Ho Chi Minh gestürmt. Damit entfesselte Frankreich praktisch einen unerklärten Krieg gegen Vietnam. Präsident Ho Chi Minh wurde rechtzeitig gewarnt und befand sich zu diesem Zeitpunkt schon außerhalb Hanois.

Die Ausgangsposition für diesen Krieg war für Vietnam extrem kompliziert. Von der Außenwelt isoliert war Vietnam gänzlich auf sich selbst gestellt. Dagegen war das französische Expeditionskorps mit amerikanischer Militärtechnik ausgerüstet und weitgehend mobil. Vietnamesische Städte wie Hanoi, Haiphong, Hue und Da Nang wurden erobert, weitere Gebiete wurden im Verlauf des Jahres 1947 besetzt. Aber die Anfang Oktober 1947 gestartete Großoffensive gegen das vietnamesische Widerstandszentrum im Viet Bac im Nordwesen des Landes schlug fehl. Das Jahr 1948 war durch blutige „Säuberungsoperationen“ im ganzen Land gekennzeichnet. 1949 versuchte Frankreich mit der neuerlichen Installation eines Marionettenregimes und den Aufbau einer vietnamesischen Söldnerarmee das Blatt zu wenden.

Ende 1949 sollte sich aber das Blatt für die Vietnamesen wenden. In China wurde das Guo-mindang-Regime vertrieben und am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China ausgerufen. Bereits im Januar 1950 nahm China diplomatische Beziehungen zur DRV auf, die UdSSR folgte unverzüglich. Am 3. Februar 1950 vollzog die DDR diesen Schritt, dem die osteuro-päischen Volksdemokratien folgten.

 

Die Schlacht

Nach sieben Jahren des Guerillakrieges wollte der französische Oberkommandierende,

General Henri Navarre, die Truppen der Viet Minh in eine offene Feldschlacht zwingen. In dieser Entscheidungsschlacht sollte die französische Überlegenheit an Ausrüstung und Technik den angestrebten Sieg und somit das Ende des Krieges bringen. Zum Ort der Schlacht hatte Navarre einen Talkessel von 16 Kilometer Länge und acht Kilometer Breite, umgeben von hohen Bergen, nahe der laotischen Grenze gewählt. Dieser Talkessel sollte zur Festung Dien Bien Phu (benannt nach einer nahe liegenden Kreisstadt)  ausgebaut werden.

Der Oberbefehl wurde Oberst Christian Marie de Castries übertragen. Was Navarre bewogen hatte, diesen Ort zu wählen, ist schwer nachvollziehbar. Einzig die Absicht, mit einem Sperrriegel entlang der vietnamesisch-laotischen Grenze, das Zusammenwirken von Viet Minh und Pathet Lao (der laotischen Befreiungsbewegung) zu  unterbinden, könnte man gelten lassen. Der Nachschub sollte hauptsächlich aus der Luft erfolgen (Hanoi war 200 km Luftlinie entfernt, die Hafenstadt Haiphong sogar 300 km), doch die meteorologischen Bedingungen  (Taifunperiode) gestatteten den Luftverkehr sehr oft nicht und auch der Talkessel selbst sollte sich noch als Hindernis erweisen.

Am 29.11.1953 setzten die Franzosen die ersten 9.000 Fallschirmjäger im Talkessel ab. Im Zentrum der Festung wurden 5 Stützpunkte errichtet, die durch Wälle gesichert und durch unterirdische Gänge miteinander verbunden wurden. Der zentrale Stützpunkt Huguette war mit einer Start- und Landebahn versehen. Das Expeditionskorps wurde in den folgenden Wochen auf 17.000 kriegserfahrene Soldaten, überwiegend Fremdenlegionäre, aufgefüllt.

Am 6. Dezember 1953 erhielt der legendäre General Vo Nguyen Giap den Befehl, die französische Streitmacht anzugreifen. Er begann mit den Vorbereitungen und es gelang ihm in zweimonatelanger Arbeit, mit Unterstützung der ansässigen Bevölkerung, Artillerie- und Flakgeschütze auf den Bergen rund um den Talkessel –  unerkannt von den Franzosen –zu stationieren. Waffen, Munition und zerlegte Geschützteile wurden mit Büffelkarren und Fahrrädern über Dschungelpfade an die Front gebracht. Tarnung und Täuschung beherrschten die Viet Minh perfekt. Von den Bergen wurden Gräben in den Talkessel vorgetrieben und Angriffsstellungen angelegt. Für die Geschütze wurden Stollen in die Felsen gehauen und Scheinstellungen angelegt. Am 3. Februar 1954, dem Tet-Fest, um 12.00 Uhr mittags eröffnete die vietnamesische Artillerie, völlig überraschend für die Franzosen, das Feuer. Nach gerade 100 Schüssen wurde das Feuer eingestellt und die Geschütze in ihre Stollen zurückgezogen. Ziel war es, sich auf die Ziele im Talkessel einzuschießen, da es ungewohnt war, von überhöhten Positionen auf einen Gegner zu schießen. Mit Verzögerung erwiderten die Franzosen das Artilleriefeuer, aber die mehr als 1.500 abgefeuerten Granaten trafen nur die Scheinstellungen, es gab auf vietnamesischer Seite keine Verluste. Die Franzosen glaubten sich aber als Sieger in diesem ersten Feuerwechsel.

Am Morgen des 13. März 1954 sollte sich dass als Trugschluss erweisen. Die Viet Minh begannen ihren ersten Angriff mit massivem Artilleriefeuer und konnten bereits am ersten Tag die wichtige Start- und Landebahn schwer beschädigen und große Teile der Vorräte an  Waffen und Munition vernichten. Der vietnamesischen Infanterie gelang es, zwei der  nördlichen Außenposten zu eliminieren, bei einem weiteren Außenposten, besetzt mit Thais, ergab sich die Besatzung – das Gebiet nördlich der Festung befand sich damit komplett in der Hand der Vietnamesen als Ergebnis der ersten Angriffswelle.  Zwei zusätzlich eingeflogene Fallschirmjägerbataillone verbesserten die Lage der Franzosen nicht wesentlich. Das vietna-mesische Artilleriefeuer war effektiv, währenddessen das französische Gegenfeuer wenig Schaden anrichtete. Der Kommandeur der französischen Artillerie, Oberst Piroth, empfand die Situation als aussichtslos und beging Selbstmord.

Durch den Beschuss der Start- und Landebahn wurde auch der Nachschub nahezu unterbunden. Auf de Castries Forderung nach massiver Luftunterstüzung wurde zwar reagiert, aber nun zeigte sich auch die Wirksamkeit der vietnamesischen Flakartillerie – zahlreiche Transport- und Kampfflugzeuge gingen verloren. Die USA lieferten natürlich bereitwillig Ersatz, aber es handelte sich um veraltete Kolbenmotorflugzeuge. Zugleich geriet Frankreich in immer größere Abhängigkeit von den USA.

Trotz der ersten Erfolge der Vietnamesen waren die Franzosen noch nicht geschlagen! Frankreich erkannte, dass der Plan von General Navarre gescheitert  und der Krieg alleine nicht zu gewinnen war. In den Gesprächen mit den USA wurde auch der Einsatz von Kernwaffen erörtert. Umstritten ist, ob es eine Anfrage der Franzosen oder ein Angebot der USA war. Die USA distanzierten sich letztendlich davon, da sie den Kriegseintritt Chinas befürchteten und Großbritannien einen Kernwaffeneinsatz ablehnte.

Nach der ersten Angriffswelle setzte eine zweiwöchige Kampfpause ein. General Vo Nguyen nutzte die Zeit, um seine Truppen auf 50.000 Mann aufzustocken, brachte ein zusätzliches Flakregiment und fünf weitere Artillerieabteilungen in Stellung. Die Franzosen versuchten die Zeit ebenfalls zu nutzen, aber die Auffüllung an Personal und Material war nur aus der Luft möglich, da der Flugplatz nicht mehr nutzbar war. So verschlimmerte sich die Lage der französischen Truppen täglich.

Mit der zweiten Angriffswelle der Vietnamesen, die am 30. März begann, wurde das Zentrum der Festung angegriffen. Die eingesetzte französische Luftwaffe versuchte mit Napalm- und Bombenangriffen die Bodentruppen zu unterstützen und den Nachschub der Vietnamesen entscheidend zu schwächen. Sie konnte damit das Vordringen der Vietnamesen verlangamen, aber nicht aufhalten. Diese zweite Phase der Schlacht war durch chaotischen Stellungskampf und Angriffe und Gegenangriffe gekennzeichnet. Ende April waren nur noch wenige Stel-lungen rund um das Hauptquartier unter französischer Kontrolle. Oberst de Castries erkannte die Ausweglosigkeit seiner Position. Es fehlte an allem – an kampffähigen Soldaten, Muni-tion, schweren Waffen und Handgranaten für den Nahkampf, an Verpflegung und Trinkwas-ser sowie an medizinischem Material. Unter den französischen Soldaten kam es zu Selbstmor-den und Desertionen.

In ihren letzten Generalangriff setzten die Vietnamesen erstmals Salvenenwerfer –Nachfolger der legendären Stalinorgeln –ein, die die noch kampffähigen französischen Soldaten endgültig demoralisierten. Am 7. Mai 1954 um 17.30 Uhr kapitulierte Oberst de Castries mit seinen verbliebenen Soldaten.

Die letzte Bastion Frankreichs im Talkessel von Dien Bien Phu hatte aufgehört zu existieren!

 

Nachbetrachtungen

  1. Die Entscheidung der französischen Regierung, General Navarre den Oberbefehl über die französischen Kolonialtruppen in Indochina zu übertragen, erwies sich als Fehlentscheidung. Navarre kam in seiner Überheblichkeit zu einer völlig falschen Einschätzung des Gegners, insbesondere auch in der Person seines unmittelbaren Gegenübers, General Vo Nguyen Giap. Geradezu tragisch war die Wahl des Ortes für die Entscheidungsschlacht. Die geographische Lage spielte den Vietnamesen in die Hände, die das Gelände besser kannten.
  2. Lassen wir General Vo Nguyen Giap zu Wort kommen: „Franzosen wie Amerikaner haben ihre Gegner , die schöpferische Kraft und Energie einer Volksarmee, eines ganzen Volkes, das sich für seine Unabhängigkeit und Freiheit erhoben hat, stets unterschätzt. In Dien Bien Phu war der menschliche Faktor entscheidend. Der „größte General“ unter meinem Kommando war das vietnamesische Volk“.
  3. Etwa 80 % der Fremdenlegionäre in der Schlacht von Dien Bien Phu waren Deutsche. Wie gingen die beiden deutschen Staaten mit dieser Tatsache um?

Am 2. Februar 1950 übermittelte die Regierung der DDR per Funk an die vietnamesische Seite einen an die deutschen Fremdenlegionäre gerichteten Appell: „Die Regierung der Deutschen demokratischen Republik fordert alle Deutschen auf, die als Fremdenlegionäre in die französische Kolonialarmee gepresst wurden, mit dem schmutzigen und verbrecherischen Krieg gegen Vietnam Schluss zu machen und zur Volksarmee Vietnams überzugehen. Sie retten nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch die Ehre Deutschlands“.

Dagegen erklärt Adenauer auf der 26. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages am 29. April 1954 zu außenpolitischen Fragen u.a.: „Der Krieg in Indochina ist nicht allein eine französische Angelegenheit. Die Soldaten, die in Indochina Blut und Leben opfern, tun dies nicht für Frankreich allein, sondern im Dienste der Freiheit für die ganze Welt“.  

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