Ein Drachentöterle ergreift im Bundestag das Schmäh-Wort

Auftritt von Wolf Biermann (77) zum 25. Jahrestag des Mauerfalls:
Hat der Liedermacher mit seiner Verbalattacke gegen die Linken überzogen oder war das legitim?

VON FRIEDRICH SCHORLEMMER
(erschienen in der LVZ am 18.11.2014)

Biermann soll die Erinnerungsstunde an die wunderbare Selbstbefreiung der Ostdeutschen am 9. November 2014 im Bundestag musikalisch umrahmen. Wer Biermann kennt, weiß, dass er nicht nur singen, sondern das Wort wie eine Schleuder ergreifen würde. Denn sein Beruf sei ja Drachentöter. Und so singt er erst am Schluss seines Auftritts sein jahrzehntelang viele Ostdeutsche berührendes, ermutigendes, entkrampfendes, befreiendes Lied „Du, lass dich nicht verhärten... Du lass dich nicht verbittern". Aber er selber ist verhärtet und verbittert. Er zersingt sein eigenes Lied. Er drischt publikumswirksam unflätig noch einmal auf den toten Drachen ein, den er doch schon zersungen zu haben angibt. Denn da saß vor ihm die dem heldischen Drachentöter entkommene Drachenbrut, nun freigewählte Fraktion der Linken. Sie kriegen's noch mal richtig ab von diesem mutigen Barden, als ob er Kinder und Enkel von Mielke, vielleicht sogar die Mielkes, Honeckers, Hagers selber vor sich hätte. Jedenfalls Reaktionäre. Der Barde darf alles und er darf sich alles herausnehmen.
    Freilich gehört zu den demokratisch-parlamentarischen Gepflogenheiten, dass Angegriffene sich wehren können, also ihre entgegengesetzte Sicht vortragen können. Sie mussten stumm bleiben. Er schlug genüsslich zu. Wie mutig! Ich stelle mir ein anderes Szenario vor: Konstantin Wecker wäre eingeladen worden, um zu singen „Was ist das nur mein Vaterland?" und „Sage nein!". Und Wecker hätte begonnen mit einer Beschimpfung der GroKo – als Vasallen der USA, gegen die Gefahren des TTIP, gegen Rüstungsexporte. Was Biermann im Bundestag abgezogen hat, das war unverschämt, maßlos, beleidigend und eines demokratischen Parlamentes unwürdig, denn es wurden nicht nur frei gewählte Abgeordnete einer linksdemokratischen Partei angepöbelt, sondern damit auch deren Wähler diffamiert, als seien sie alle die Erben des Mauerstaates. Er darf allen Unsinn sagen, dass er etwa diese „Reaktionäre" zersungen hätte, als sie noch an der Macht waren.
    Er wendet sich an die Linken mit seiner herrschaftlichen Ihr-Anrede, um sie niederzumachen, dieser ehemalige Genosse. Der letzte, der solches herrschaftliches „Ihr" in einem deutschen Parlament gebraucht hatte und dafür ausgelacht wurde, war vor fast genau 25 Jahren Erich Mielke am 13. November 1989 in der Einheitsfront-Volkskammer gewesen.
Dort säße nun „der elende Rest von dem, was zum Glück überwunden ist." Dass die Abgeordneten schließlich gewählt worden seien, weist er ignorant mit der Bemerkung ab, eine Wahl sei doch „kein Gottesurteil". Wohl wahr. Und das Urteil des maßlosen Barden ist wahrlich nicht von seherischer Kraft. So prophezeite er 1976 in seinem berühmten Kölner Konzert, dass die BRD auch „rooot" werden würde. Eurokommunistisch. 
    Zweifellos ist Biermann ein großer Poet, ein begabter Narziss und ein gefährlicher Rechthaber - in allen seinen Posen und Positionen. Stets ist Vorsicht geboten, wenn jemand seine Herkunftsgruppe anfängt zu verachten oder gar zu hassen. Biermann war einmal Kommunist. Überzeugter Kommunist. Das  müsste er sich einfach mal verzeihen.
    Noch am 2. Dezember 1989 hat er ausgesprochen, was uns damals einte, nämlich eine selbstbewusste, eigenständige, mit dem Westen Deutschlands friedlich konkurrierende DDR, die im Einigungsprozess nicht als Konkursmasse dem Westen angegliedert werden könnte.
    Ich leitete die Zusammenkunft, auf der W.B. das Wort ergriff und ich konnte ihm zustimmen: „Ich kann das Wort WIEDER nicht ertragen. Ich meine Wiedervereinigung... (Beifall). Aber egal unter welchem staatlichen Dach die Deutschen leben oder Dächern, wie es mir besser gefallen würde ... weil ich nämlich darauf hoffe. Das ist doch erlaubt. Und wenn die anderen es anders wollen, so können sie es ja machen. Ich hab hier nichts zu bestimmen, aber ich will deutlich sagen, was ich mir wünsche: Dass zwei Deutschländer da sein können, die einen edlen, friedlichen und demokratischen Wettstreit versuchen (langer Beifall). Einen Wettstreit, bei dem man den anderen nicht in die Pfanne haut, nicht ihn heruntermacht und ihm miese Motive unterstellt und ihn zum Schwein stempelt, denn wer andere zum Schwein stempelt, will es auch abschlachten. Er hat das Messer schon hinter dem Rücken."
    Ja, Wolf, keinen zum Schwein stempeln! Was sich Biermann 2014 im Bundestag erlaubt hat, war das Niedermachen einer Oppositionspartei unter Duldung und mit Hohn-Lachen der anderen Fraktionen. Sie waren ja nicht betroffen, als der Barde sich selbst zum gefeierten x-maligen Drachentöter ernannte. Kanzlerin und SPD-Vorsitzende ließen sich nach seinem „Auf-Tritt" in dankbarer Umarmung des Helden im Fernsehen sehen.
    Biermann stilisiert sich geradezu zu einer mythologischen Figur. Drachentöter damals, Drachentöter heute. Biermann suggeriert ein mythisches Urdrama, in dem er selbst der drachentötende Akteur ist und allein entscheidet, wer Drache ist, wer der erlösende Held, wer Drachenkopf oder was Drachenbrut ist. Zudem, wer der historische Wachmann sein soll, der der übriggebliebenen Brut des Drachen zersingend begegnet: Biermann und Biermann und Biermann.
    Der Drache ist zwar längst tot, aber seine Brut, so deucht ihm, wird zur akuten Gefahr. Biermann gehört seit 25 Jahren zum lautstarken elenden Rest eines feindbildverzerrten Denkens, das der Zeit des Kalten Krieges, der deutschen Teilung mit gegenseitiger Schmähpropaganda verhaftet bleibt. Das alles mindert nicht die befreiende Funktion vieler seiner wunderbaren Lieder zu Zeiten, als er noch im Osten seine freche, bildstarke Stimme gegen das Gerontokraten-Kartell der SED erhob.
    Sein aufmunterndes Gorbatschow-Lied von 1989 atmete noch den Geist der Befreiung, an dem schließlich auch Kommunisten mitgewirkt hatten, ohne dass sie sich gezwungen gesehen hätten, sich in scharfe Antikommunisten zu verwandeln wie vieljährig ideologische Einpeitscher wie Schabowski.  
    Biermann, das ist selber der elende Rest dessen, was wir zum Glück überwunden haben. Seine 76er-Prophezeiung, dass die BRD eurokommunistisch „rooot" würde, ist glücklicherweise nicht wahr geworden. Der Text ist klüger als der Dichter. Also sich nicht verhärten, nicht verbittern und darauf vertrauen, dass das „Grün aus den Zweigen" bricht.

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