Gedenken in Kienitz

von Kapitän zur See Gerhard Matthes

Gedenken an Kienitz

Am 31. Januar 2020 fand in Kienitz, Märkisch Oderland, einem kleinem Dorf im Oderbruch eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 75. Jahrestages der Errichtung des ersten Brückenkopfes durch Truppen der 1. Belorussischen Front auf den Westufer der Oder, also auf dem heutigen Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, statt.

Gedenken in KienitzZwischen dem 12. und 14. Januar 1945 begannen die Truppen der 1. Ukrainischen sowie der 1. und 2. Belorussischen Front die Kampfhandlungen zur Weichsel-Oder-Operation. Die Kampfhandlungen verliefen für die Rote Armee äußerst erfolgreich. Ende Januar stießen starke Vorausabteilungen der Armeen dieser Fronten in Richtung Oder vor.

Die ersten Einheiten der 1. Belorussischen Front, die die Oder am 31. Januar morgens überschritten, waren zwei Bataillone des 1006. Schützenregiments des 26. Gardeschützenkorps der 5. Stoßarmee von General Nikolai E. Bersarin.

Sie überquerten das Eis der Oder, nahmen ohne jeden Widerstand das Dorf und gleichnamige Gut Kienitz sowie weitere Gehöfte ein und errichteten einen vier Kilometer breiten und zwei Kilometer tiefen Brückenkopf innerhalb kürzester Zeit.

Auf Grund der durch Tauwetter brüchigen Eisdecke konnten weder Panzer, Fahrzeuge noch schwere Artillerie sofort über die Oder gebracht werden. Lediglich 15 76-mm-Kanonen und 16 120-mm-Granatwerfer standen den Schützenbataillonen zur Feuerunterstützung zur Verfügung.

Erst nach der Verbesserung der Tragfähigkeit des Eises und dem späteren Bau von zwei Brücken konnten schwerere Geschütze nachgeführt werden.

Im Verlaufe des ersten Tages erreichten weitere Einheiten des 26. Gardeschützenkorps sowie der 2. Gardepanzerarmee die Oder und es wurden weitere Truppen zur Erweiterung des Brückenkopfes eingesetzt. Mit der Bildung des Brückenkopfes, seiner späteren Erweiterung sowie standhaften Verteidigung waren die wichtigsten Voraussetzungen für den Sturm auf die deutsche Hauptstadt und den Sieg über den deutschen Faschismus geschaffen.

Die Zivilbevölkerung, Bewohner der besetzten Orte und Flüchtlinge aus den Ostgebieten, wurden von der Roten Armee über die Oder nach Osten evakuiert, um sie aus dem unmittelbaren Kampfgebiet zu entfernen. Es gab im Ort infolge der Besetzung durch die Rote Armee weder Zerstörungen noch Tote.

Erst als die Wehrmacht Truppen heranführte und mit Fliegerkräften Angriffe auf den Brückenkopf flog, um ihn zu liquidieren, kam es zu zahlreichen Verlusten, besonders bei den im Hafen ankernden Schiffen, auf denen Flüchtlinge aus den Ostgebieten untergebracht waren und Kienitz, wurde zu 80% zerstört.

Gedenken in Kienitz

Die Einwohner von Kienitz führen seit 50 Jahren eine Gedenk­ver­an­staltungen zur Erinnerung an dieses denkwürdige historische Ereignis und zur Mahnung für den Frieden durch. Im Jahre 1970 wurde beschlossen, ein Panzerdenkmal zu errichten und an der Straße der Befreiung aufzustellen. Zum 70. Jahrestag der Befreiung wurde dieses Denkmal restauriert. Dafür stellte das Land 40.000 € und die Gemeinde 10.000 € zur Verfügung. Niemals stand für die Kienitzer nach der Wende die Frage, ob der Panzer beseitigt werden soll. Vor allem die älteren Kienitzer setzen sich für den Verbleib des Denkmals und den Erhalt des Namens „Straße der Befreiung“ ein. Für sie sind Panzer und Straßenname Mahnungen um sich für die Sicherung des Friedens und die Freundschaft zu allen Völkern einzusetzen.

Mir hat besonders die Aussage gefallen: Der Panzer gehört hier her, schließlich erbt man die Geschichte komplett und nicht in Teilen.

Der Bürgermeister der Gemeinde Letschin, zu der das Dorf Kienitz gehört, Herr Böttcher, konnte zu diesjährigen Gedenkveranstaltung ca. 300 Teilnehmer aus der Gemeinde, aus dem Landkreis Märkisch Oderland und aus weiteren Orten – und er konnte nach der Begrüßung der Teilnehmer einigen hochrangigen Persönlichkeiten das Wort zu Gedenkreden erteilen, darunter Brandenburgs Minis­ter­präsident Dietmar Woidke, dem Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter der Russischen Föderation in der BRD, Exelenz Sergej J. Netschajew, dem Vorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck und dem Landrat des Kreises Märkisch Oderland, Gernot Schmidt.

In ihren Ansprachen herrschte Übereinstimmung, dass die Weltkriegskatastrophe, die mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 endete, durch den deutschen Faschismus ausgelöst und dass der Krieg im Osten mit besonderer Brutalität und Menschenverachtung geführt wurde.

Insbesondere wandten sich Botschafter Netschajew und Matthias Platzeck gegen alle Versuche und Bestrebungen, die Geschichte umzuschreiben. Der Botschafter bedankte sich für die gute Arbeit der Kriegsgräberfürsorge im Land Brandenburg und die überall anzutreffende positive Haltung der Menschen gegenüber Russland.

Matthias Platzeck erinnerte mit bewegenden Worten an menschliches Leid, Tod und Zerstörung, die der faschistische 2. Weltkrieg den Völkern der Sowjetunion gebracht hat und stellte dem die Haltung der Sowjetunion und Russlands gegenüber, die sich durch Vergebung, Zusammenarbeit und Freundschaft auszeichnet. Diese ausgestreckte Hand darf von Deutschland nicht missachtet werden betonte der Leiter des Deutsch-Russischen Forums.

Alle Sprecher waren sich einig, dass von dieser Veranstaltung zum 75. Jahrestag eine Impuls für Frieden und Zusammenarbeit und die Ächtung der Kriegsvorbereitung ausgehen muss.

Gemeinsam ehrten die Teilnehmer mit Kranzniederlegungen und Blumengebinden am Panzerdenkmal die gefallenen Rotarmisten und am Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkrieges die durch Krieg und Gewalt in den Jahren 1939 bis 1945 Getöteten.

Gedenken in Kienitz

An der Gedenkveranstaltung nahm eine Delegation des Verbandes zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR und der Regionalgruppe Strausberg unter Leitung des Sprechers des Ältestenrates, Generalmajor Sebald Daum und des Stellvertreters des Vorsitzenden des Verbandes, Oberstleutnant Siegfried Eichner, teil und legten an den Denkmalen Blumengebinde nieder.

Gedenken in Kienitz Gedenken in Kienitz

Nach der Kranzniederlegung fand im Gasthof „Zum Hafen“ ein Friedens-Forum statt, an dem auch die Delegation des Verbandes teilnahm. Nach den äußerst positiven Ansprachen am Panzerdenkmal und dem Aufruf für Frieden und Völkerverständigung gingen wir mit großen Erwartungen zu diesem Forum. Nach nochmaliger Begrüßung der Teilnehmer durch den Bürgermeister übernahm der Künstler Christian Steyer die Moderation der Gespräche. Er leitete praktisch eine Podiumsdiskussion mit Matthias Platzeck, Gunther Fritsch (ehemals Landrat Märkisch Oderland, Minister in der Landesregierung und Landtagspräsident) sowie Dr. Helmut Domke ehemals Vorsitzender Stiftung West-östliche Begegnungen. Leider kam der Moderator nicht auf das Thema 75. Jahrestag der Bildung des Brückenkopfes und die sich aus dem verbrecherischen Krieg ergebenden Lehren zurück, sondern stieß eine Diskussion über Mängel, Schwächen, Unrecht und Fehler in der DDR an, so dass nun Lebenserfahrungen der Diskussionsteilnehmer in der DDR erörtert wurden.

Zu dem Friedensforum war auch der ehemalige Stellvertreter des Chefs des Stabes der Westgruppe, Oberst Wladimir Wassiljewitsch Strelnikow, eingeladen, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen die Einladung nicht wahrnehmen. Er übergab seinen Beitrag schriftlich. Da dieser Beitrag dem Thema des Friedensforums entspricht, wird er mit veröffentlicht.

Viele der Teilnehmer des Forum waren vom Verlauf enttäuscht und verließen vorzeitig den Raum.

Am Rande der Gedenkveranstaltung kam es zu vielen Demonstrationen gegen das US- und NATO-Manöver Defender 2020 durch Einzelpersonen und Gruppen. Das war unseres Erachtens ein positiver Nebeneffekt.

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