Gegen das Vergessen

von Oberst a.D. Horst Nörenberg

 

Als der Bundespräsident seine Rede zum 8. Mai vortrug, war es augenscheinlich, er hatte einen wichtigen Sachverhalt vergessen, absichtlich vergessen. Dieses Vergessen ist heute Staatsdoktrin der BRD, dabei hat dieses Land seine Existenz auch den den Völkern der Sowjetunion zu verdanken.
Als vor 75 Jahren der 2. Weltkrieg am 8. Mai in Europa sein Ende fand, waren die Völker, der am Krieg beteiligten Länder, über glücklich und voller Begeisterung für eine friedliche Zukunft unserer Welt. Die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte war überstanden, sie hatte Tot und Zerstörung hinterlassen. Doch die Deutschen fühlten die Schmach des Verlierers, wieder, wie 1918, war der Traum vom Größenwahn geplatzt. Die deutschen Kriegsherren hatten den sinnlosen Kampf noch nach dem Tot ihres obersten Befehlshabers, Adolf Hitler, weitergeführt und so starben besonders noch in den letzten Wochen des Krieges überdurchschnittlich viele Soldaten an den Fronten. Oft wird nur über die Millionen menschlichen Opfer gesprochen und über die 27 Millionen der UdSSR, die gewaltigen materiellen Verluste treten in den Hintergrund. Der Krieg fügte der Volkswirtschaft der Sowjetunion einen Schaden zu, der zusammen mit den Rüstungsausgaben und den Verlusten durch die besetzten Gebiete, zwei Billionen 569 Milliarden Rubel ausmachte. Da gab es nach dem Krieg keine Möglichkeiten für einen Sowjetischen „Marshallplan“ zum Aufbau der DDR, als „Schaufenster“ des Sozialismus.

Ein zweiter Fakt des Vergessens ist die erklärte Absicht Hitlers, ein „Krieg ohne Regeln.“ Am 22. Juni 1941 begann ein Vernichtungskrieg, der mit einer unglaublichen Grausamkeit geführt wurde. Die sowjetischen Kriegsgefangenen wurden wie Arbeitssklaven behandelt und von der Deutschen Industrie brutal ausgebeutet, bis zur Vernichtung. Schon am 03. Januar 1941 hatte Hitler vor den Oberkommandierenden der Teilstreitkräfte erklärt, dass die Besonderheit des Krieges gegen Sowjetrussland in dessen völligem Gegensatz zu einem regelgerechten Krieg im Westen und Norden bestünde und dass der Kampf gegen den Bolschewismus eine totale Zerstörung und Vernichtung Russlands als Staat zum Ziele habe. Doch die Strategen in Berlin hatten nicht mit dem Heroismus der Völker der Sowjetunion gerechnet. General Guderian erinnerte sich: „ Für die Stimmung der russischen Bevölkerung war übrigens eine Unterhaltung kennzeichnend, die ich mit einem alten, zaristischen General in Orel hatte. Er sagte - Wenn ihr vor 20 Jahren gekommen wäret, dann hätten wir Euch mit Begeisterung empfangen. Aber nun ist es zu spät. Wir fingen gerade an wiederaufzuleben, und nun kommt Ihr und werft uns um 20 Jahre zurück, so daß wir wieder von vorne anfangen müssen. Jetzt kämpfen wir für Rußland, und darin sind wir einig.“ Kein Göring, kein von Brauchitsch, kein Raeder und kein nachgeordneter Befehlshaber aus dem Kreis der Ritterkreuzträger des Polen – und Frankreichfeldzuges widersprachen und forderten „Ritterlichkeit.“ Schon am 18. Dezember 1940 erteilte Hitler die Weisung Nr. 21 zum Unternehmen „BARBAROSSA,“für den Überfall auf die Sowjetunion. Darin heißt es: „Die Deutsche Wehrmacht muß darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen. Das Heer wird hierzu alle verfügbaren Verbände einzusetzen haben -------. Den Aufmarsch gegen die Sowjetunion werde ich gegebenenfalls acht Wochen vor dem beabsichtigten Operationsbeginn befehlen. Vorbereitungen, die eine längere Anlaufzeit benötigen, sind – soweit noch nicht geschehen – schon jetzt in Angriff zu nehmen und bis zum 15. Mai 1941 abzuschließen.
I. Allgemeine Absicht: Die im westlichen Rußland stehende Masse des russischen Heeres soll in kühnen Operationen unter weitem Vortreiben von Panzerkeilen vernichtet, der Abzug kampfkräftiger Teile in die Weite des russischen Raumes verhindert werden.---------. Das Endziel der Operation ist die Abschirmung gegen das asiatische Rußland aus der allgemeinen Linie Wolga – Archangelsk. So kann erforderlichenfalls das letzte, Rußland verbliebene Industriegebiet am Ural, durch die Luftwatte ausgeschaltet werden.
II.
Voraussichtliche Verbündete und deren Aufgaben:

  1. Auf den Flügeln unserer Operation ist mit der aktiven Teilnahme Rumäniens und Finnlands am Krieg gegen Sowjetrußland zu rechnen.---------.
  2. Rumänische Aufgabe wird es sein, zusammen mit der dort aufmarschierten Kräftegruppe den gegenüberstehenden Gegner zu fesseln und im übrigen Hilfsdienste im rückwärtigen Gebiet zu leisten.
  3. Finnland wird den Aufmarsch der aus Norwegen kommenden abgesetzten deutschen Nordgruppe (Teile Gruppe XXI) zu decken und mit ihr gemeinsam zu operieren haben. Daneben wird Finnland die Ausschaltung von Hangö zufallen.(Halbinsel in sowjetischer Hand. d.A.)
  4. Mit der Möglichkeit, daß schwedische Bahnen und Straßen für den Aufmarsch der deutschen Nordgruppe spätestens von Operationsbeginn an zur Verfügung stehen, kann ausgegangen werden.“

Es folgen weitere Festlegungen für die Aufgaben der Teilstreitkräfte, der Geheimhaltung und die Sicherstellung, die Weisung schließt: „Vorträge der Herren Oberbefehlshaber über weitere Absichten auf Grund dieser Weisung sehe ich entgegen. Die beabsichtigten Vorbereitungen aller Wehrmachtsteile sind mir auch in ihrem zeitlichen Ablauf, über das Oberkommando der Wehrmacht zu melden.“
Gegen das VergessenAus dieser langfristigen Vorbereitung ergibt sich wieder die Frage nach der Überraschung für den Überfall auf die UdSSR, was wohl immer eine offene Frage bleiben wird. Warum vertraute Stalin auf Hitlers Wort?
Selbst am 22. Juni weigerte sich Stalin anzuerkennen, dass der Krieg da war und fragte seine obersten Militärs, ob es nicht doch eine Provokation ist. Mit der Kapitulation am 8.Mai 1945 hatte die Wehrmacht die Waffen gestreckt und Deutschland lag in Trümmern. Die Propaganda prägte die Angst vor den Russen, doch wie hätte der Osten Deutschlands ausgesehen, wenn die Rote Armee auch einen Vernichtungskrieg geführt hätte? Die Sowjetunion erklärte den 9. Mai zum „Tag des Sieges“ und feierte diesen Sieg über Hitler – Deutschland am 24. Juni 1945 mit einer großen Militärparade, Tag und Nacht wurden die neue Uniformen für die Teilnehmer geschneidert. Jede der Fronten, die Marine und die Luftstreitkräfte, stellten ein Paraderegiment. Abnehmender der Parade war Marschall Shukow auf einem Schimmel, er wurde am 12. Juni noch mit dem dritten Stern eines „Helden der Sowjetunion“ ausgezeichnet. Kommandierender der Parade war Marschall Rokossowski. Doch es war noch kein Frieden in der Welt. Die Japaner mussten am Ende noch die Wirkung der Atombombe erleben, obwohl, durch den Eintritt der Sowjetunion in den Krieg gegen Japan, die Niederlage nur eine Frage der Zeit war.

Ein dritter Fakt des Vergessens, die Beteiligung der UdSSR am Krieg im Fernen Osten. Dabei hatte sie ja schon die Hauptlast des Krieges in Europa getragen. In 24 Tagen, vom 09. August bis Anfang September 45, hatten drei Fronten, auf einer Breite von fast 5000 km, mit 11 allgemeinen Armeen, einer Panzerarmee, drei Luftarmeen und Marinekräfte, unter dem Oberbefehl von Marschall Wassilewski, die Operation in China gegen Japan durchgeführt. Mit über 1,5 Million Mann wurde die Zusage Stalins in Teheran erfüllt und die Japanische Kwantung – Armee zerschlagen. 594 000 Japaner, darunter 148 Generale, gingen in Gefangenschaft. Auch die Mongolische Volksarmee hatte sich, an der Seite der Roten Armee, tapfer geschlagen. Eine echte Prüfung für die sowjetischen Panzerbesatzungen war der schnelle Marsch durch die Wüste Gobi. Temperaturen von bis zu 45 Grad Celsius, Maschinen voller Sand, erschöpfte Truppen erschwerten das Vorrücken. Nach der Wüste mussten das Große Hinggan-Gebirge durchquert werden, das auch wegen der heftigen Regenfällen als undurchdringlich galt. Obwohl es keine genauen Landkarten gab, gelang den sowjetischen Panzern die Überfahrt, was die Japaner völlig schockte. Ein japanischer Offizier erzählte später sowjetischen Soldaten: „Als ihr in die Hinggan-Region kamt, beruhigten wir uns. Wir wussten, ihr würdet umkehren. Keine Armee hat es je gewagt, das Hinggan zu überqueren. Und plötzlich erschienen eure Panzer, Artillerie, Infanterie…” Damit war der 2. Weltkrieg endgültig beendet,
Dank Euch Ihr Sowjetsoldaten, ihr Helden der Sowjetunion!
Der Krieg hinterließ ein furchtbares Trauma bei den Überlebenden, nicht nur einer Generation.
Valentin Falin schrieb: „ Der 22. Juni hat sich im Gedächtnis des sowjetischen Volkes fest eingeprägt. Das Jahr 41 selbst ist zu einem Inbegriff geworden. Anders konnte es kaum kommen, nachdem jede Minute, jede Stunde, jeder Tag zu einer Art Countdown für das eigene Schicksal und das Los all derer wurde, die einem lieb und teuer waren.“

Der vierte Fakt des Vergessens. Angesichts dieses, im Namen des Deutschen Faschismus, der Bundespräsident gebraucht, wie die Medien, die verharmlosende Vokabel Nationalsozialismus, geführten Vernichtungskrieges, von Soldaten, die der faschistischen Ideologie verfallen waren, ist es eine Ungeheuerlichkeit, wenn heute versucht wird, die Geschichte umzuschreiben. Diese Tendenzen einer „Siegermentalität“entspringen einem System, welches den Vernichtungskrieg bis heute nie als Schuld und Schande empfunden hat. Es sind oft nur kleine Nuancen, da wird die Landung in der Normandie zum Wendepunkt des Krieges, oder in den Nachrichten zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz werden die Worte „------ durch die Rote Armee“ einfach weggelassen. In der „Militärzeitschrift“ März 2020 wird behauptet, Shukow plante als Generalstabschef den Überfall auf Deutschland. Ja, es wird versucht, der Sowjetunion eine Mitschuld am Krieg zu geben, eine Absurdität der imperialen Geschichtsschreiber.
Gegen das VergessenHitlers Weisung Nr. 21 vom Dezember 1940 spricht da eine deutliche Sprache. Was General Guderian am Ende seiner Erinnerung schreibt, ist für alle Diener des Staates BRD in den ersten Jahrzehnten in Verwaltung, Armee, Polizei, Justiz, Geheimdienst, Kultur und Politik symptomatisch und hat sich in der Richtung bis heute erhalten. Guderian: „Meine Schilderung ist zu Ende,“ schreibt er. „Mir wurde sehr schwer, aufzuzeigen, was unseren zweiten Zusammenbruch herbeigeführt und was ich dabei persönlich erlebte. Die Unzulänglichkeit alles irdischen Wollens trat zu klar vor meine Augen, als daß ich die Fehler unserer Einrichtungen, die eigenen Mängel nicht erkannt hätte. In schwerer Zeit sandte mir ein Prinz meines Königshauses ein Bildchen Friedrich des Großen, auf welches er die Worte geschrieben hatte,-------. „Nichts wird das Innere meiner Seele ändern, und ich werde meinen geraden Weg gehen und tun,was ich für nützlich und ehrenvoll halte.“ Des Königs Worte blieben mir im Gedächtnis haften und bildeten die Richtschnur meines Handelns.----. Das Buch soll meinen Dank an unsere teuren Toten und an meine alten Soldaten sein und ihren Ruhm der Vergessenheit entreißen. Euch, meine alten Soldaten, gilt mein letztes Wort. Richtet Euch auf, meine Kameraden, und tragt den Kopf hoch, wie einst zur Parade! Ihr braucht Euch Eurer Taten wahrlich nicht zu schämen. Ihr wart die besten Soldaten.“

Kein Wort von Verantwortung, Schuld, Scham, Sühne oder Entschuldigung, nach dieser größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Es bleiben nur die „Verlorenen Siegen,“ für die nur Hitler verantwortlich war.
Das war die Grundhaltung der rechtslastigen Diener des Staates BRD nach 1945. Hitlers Eliten, die Banken und die Großindustrie, verstärkt durch den staatlich verordneten Antikommunismus, lebten in der Idylle der „Freiheitlich demokratischen Grundordnung“ weiter. Angefangen bei Globke, Gehlen, Heusinger, Filbinger und Kiesinger, bis in die Amtsstuben der Gemeinden hatte der alte Geist überlebt. Eine Aussage über den Charakter der Bundesrepublik ist die Tatsache, dass mit dem Ordensgesetz von 1957 die Kriegs - Orden Hitlers bis heute in der BRD (Ohne Hakenkreuz) ehrenvoll getragen werden dürfen. Mit dem Antikommunismus wurden Wahlen gewonnen. 1990 wollt man uns weismachen, die Bundeswehr hätte kein Feindbild, dabei wurden die Führungskräfte der Bundeswehr, bei ihrer Aufstellung, nach dem Kriterium der Osterfahrung ausgesucht und Adenauer sprach von der Befreiung der Ostzone.
Nicht allein durch die Rechtsnachfolge Nazi – Deutschlands, sondern mit breiter Unterstützung der Westmächte ist man bis in die Gegenwart auf dem rechten Auge blind. US – General Patton, ein deutschfreundlicher Mann und Russenhasser, schrieb 1945 an seines Frau. „Die Deutschen sind zur Zeit das einzige anständige Volk, das es in Europa noch gibt. Wir haben die Wahl zwischen ihnen und den Russen. Mir sind die Deutschen lieber.“ Patton bremste die Entnazifizierung, wo er nur konnte, weil er überzeugt war, nur so die Deutschen geneigt zu haben, mit den USA gegen die Sowjets zu marschieren. Die Generation der Landsmannschaften, Kriegervereine,Verbände der Ritterkreuzträger und die Veteranen der Waffen-SS, die sich nach 1945 zu einem Traditionsverband – der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen - SS (HIAG) – zusammen schlossen, hatten bis in die 1970er-Jahre erheblichen Einfluss im Netzwerk der Soldaten - und Traditionsverbände, aber auch intensive Kontakte zu den Parteien der Bundesrepublik. Aufgrund ihrer Beteiligung am Holocaust und an zahlreichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die zivile Bevölkerung wurde die Waffen - SS 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt. Das war in der BRD kein Makel!
Sie alle haben ihre Nachkommen hinterlassen, die sich ab 1990 auch im Osten ausbreiteten. Die Leute der Führung der AfD kommen alle aus dieser Gesellschaft im Westen. Die BRD hat nicht nur eine besondere Verantwortung gegenüber Israel, sondern genauso eine gegenüber Russland. 75 Jahre nach den Kriegsverbrechen an den Völkern der Sowjetunion und 30 Jahre nach der Zustimmung Gorbatschows zum Ende der DDR.
Kämpfen wir gegen das Vergessen und denken an die Worte, „Der Schoß ist fruchtbar noch.“ Wer vom Krieg spricht, darf zum Kapitalismus nicht schweigen! Ich danke Daniela Dahn für ihr Buch – „Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute,“ ich kenne keine bessere Analyse unserer Geschichte in den Jahren nach der Wende. Sie schreibt gleich am Anfang: „Die Einheit war eine feindliche Übernahme auf Wunsch der Übernommenen. Für die Sieger war das schönste an der friedlichen Revolution, dass sie nichts revolutionierte. Das Neue bestand darin, den alten Spielregeln beizutreten. Kaufen und sich kaufen lassen. Dieser Mechanismus funktioniert zuverlässig und gibt kein Anlass zur Klage.“ Eine Fundgrube. An dieser Stelle bleiben mir nur noch zwei Sätze. Auch wenn nach dem Kalten Krieg nur der Kapitalismus übrig geblieben ist, meine Überzeugungen ist ungebrochen, wir brauchen ein anderes Gesellschaftssystem. Ich bin bei dem Schweizer Jean Ziegler: „Der Kapitalismus muss zerstört werden, bevor er uns und den Planeten zerstört.“

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