21.05.2022

NY Times ändert Pro-Kriegs-Narrativ -
eine Einschätzung von
Lutz Vogt


Liebe Genossen und Freunde,
ich hatte ja an dieser Stelle schon einmal den Beitrag aus der New York Times eingestellt, den ich aufgrund seiner anderen Nuancierung zum Ukraine-Krieg für bedeutsam hielt.
Zugleich habe ich unseren Freund Lutz Vogt um seine Einschätzung  dieses Artikels gebeten.
Hier ist seine Antwort:

Lieber Siegfried,

schon der Umstand, dass dieser Artikel aus der NYT stammt, verleiht ihm Gewicht. Die Zeitung ist schließlich eine Art Zentralorgan sehr einflussreicher Gruppen unter den sog. Demokraten (oder wie immer man sie auch bezeichnen mag).

Bei aller "Manöverkritik", die man zu beiden im direkten Krieg in der Ukraine befindlichen Seiten und Streitkräften anbringen kann, war auf der strategischen Ebene ein Sieg der USA/GB, deren Verbündeter und deren Bauernopfer Ukraine sehr unwahrscheinlich. Im westlichen Sprachgebrauch könnte man sagen: highly unlikely.

Es ging den USA und GB (sie waren und sind ja die treibenden Kräfte in diesem global geführten Krieg mit Russland; Deutschland ist "nur" der lauteste Kläffer) in erster Linie und seit Jahren darum, Russland maximal zu schwächen. China wird nach wie vor als die größere Systembedrohung angesehen.

Und nun hat sich der kollektive Westen selbst in eine Ecke manövriert, die für eben diesen Westen gefährlich wird. Ich erinnere an solche erklärten Kriegsziele wie Sieg auf dem Schlachtfeld, Kampf bis zum Sieg, Völkermord durch Russland, Putin ist ein Verbrecher, Russland soll wirtschaftlich VERNICHTET werden (Baerbock) und man wolle NIEMALS neue Grenzen in der Ukraine anerkennen. Das ließe sich fortsetzen. Mit derartigen Tiraden blockiert man sich selbst, weil man sich die Möglichkeit verbaut, mit DIESEM Gegner auch nur zu reden. Geschweige denn, auf Augenhöhe zu verhandeln.

Nun wird von Tag zu Tag deutlicher sichtbar, dass dieser militärische Sieg in der Ukraine für den Westen nicht erreichbar ist und gleichzeitig in Russland durch eben diesen Westen Prozesse eines erneuten Elitenaustauschs in Gang gesetzt wurden, die nun so gar nicht beabsichtigt waren. Das werden Eliten sein, die durch den Krieg gegen ihre Nation, gegen die sog russische Welt gelernt haben. Eliten, die WISSEN, dass ihnen ihr Existenzrecht abgesprochen und weggenommen werden soll. Durch den Abzug der Masse westlicher Berater insbesondere in den Bereichen Finanzwirtschaft und Wirtschaftsmanagement im Zuge des "6. Sanktionspaketes" beraubt sich der Westen zudem zumindest für lange Zeit der bisherigen Möglichkeiten der Einflussnahme und Informationsbeschaffung. Sorry, aber wie blöd muss man sein?

Dadurch, dass die USA, GB, die NATO und die EU bisher Russland als ihrem erklärten Kriegsgegner von höchster Ebene einen Frieden verweigern, in dem von der Ukraine oder wie immer das hinterher heißen wird, keinerlei Gefahren mehr ausgehen (der Botschafter Russlands in den USA, Antonow, hat das lt. TASS öffentlich so formuliert), wollen sie Russland zwingen, seinerseits einen vollständigen Sieg zu erkämpfen. Einen Sieg, der sich auch territorial widerspiegelt. Nur, dann wird Russland bei allen Problemen, die der Wiederaufbau der Ukraine und ihre wirtschaftliche Integration in den russischen Wirtschaftsraum haben wird, vom ersten Tag an stärker und mächtiger sein als vor dem 24. Februar. Nicht umsonst haben alle westlichen Geostrategen die Ukraine als das Schlüsselland für die Dominanz in Europa (Atlantik bis Ural) bezeichnet. Ich will das jetzt nicht einzeln auflisten, aber wenn dieses gewaltige Potential wieder an Russland fällt, hat Westeuropa ganz schlechte Karten. Und der Rest des Westens auch.

Genau diese Perspektive zeichnet sich ja als reale Gefahr gerade ab. Schließlich wissen die Entscheider in den USA, GB und Frankreich sehr wohl, wie die reale Lage in der Ukraine und in Russland ist. Nicht nur die militärische, sondern auch die wirtschaftliche und politische. Diese westlichen Entscheider sehen, dass sie mit ihren Sanktionspaketen nicht nur Russland weh tun, sondern dass dieses Riesenland damit WESENTLICH besser zurecht kommt, als der sog. Westen. Letzterer schadet sich damit in einem unerhörten und unbeabsichtigten Maße selbst und kommt ohne Russland aus dieser Lage nicht mehr raus. Der Westen hat eine für ihn völlig irre Lage selbst geschaffen.

Und selbst im Propagandakrieg, der nun wirklich nicht Russlands Stärke ist, scheinen die dortigen Verantwortlichen zu lernen. Das ist langfristig auch eine gefährliche Entwicklung, wenn aus dem traditionell gern jammernden Russen plötzlich ein selbstbewusster Russe wird, der sich eben seiner Stärken und Leistungen bewusst wird und sich nicht wie in der Vergangenheit das Gegenteil einreden lässt.

In den USA und GB mögen einige kurzsichtige Leute jubeln, dass sie ihrer westeuropäischen Konkurrenz und insbesondere Deutschland einen schwere Schlag versetzt haben. Aber das sind doch eben ihre "Brüder" auf die sie im Kampf gegen China und Russland so dringend angewiesen sind.

Da hilft es im Westen auch nicht, zu jammern, dass man das so nicht gewollt habe und "man" angeblich nicht damit rechnen konnte, dass Russland so stark ist und der Rest der Welt nicht mit dem sog. Westen mitzieht. Gekonnt hätten sie schon - sie wollten es nicht glauben. Aber wer glaubt schon gern, dass es für ihn zu spät sein könnte ....

Angesichts der wirklich nur noch irre zu nennenden Propaganda-Kriegführung des Westens in ihren "totalen hybriden Krieg" gegen Russland (Lawrow) ist es nun schwer, zurück zu rudern. Den anstehenden politischen und militärischen Rückzug der USA und ihrer Verbündeten im Krieg gegen Russland muss auch die sog. Heimatfront vorbereitet werden. Und da fängt man am besten bei den eigenen Eliten an. Daher die NYT als Sprachrohr. Es ist ja auch erstmal nur ein Artikel. Noch tobt der Krieg in der Ukraine ja und ein Artikel macht da sozusagen den Kohl nicht fett. Wenn sich die militärische, politischen, wirtschaftliche, finanzielle und auch die propagandistische Lage im Krieg gegen Russland weiterhin für den Westen verschlechtert, dann wird es sicher noch mehr derartige Artikel und auch Reden geben.

Dann schlägt die Stunde der Verhandler (Diplomaten, Unternehmer, Banker, und anderer mehr), um vielleicht auf diesem Wege Russland womöglich noch einige seiner Siege wieder aus der Hand zu winden. Man weiß ja nie und einen Versuch ist es wert.

In jedem Fall ist der NYT-Artikel bemerkenswert und der Aufmerksamkeit wert. Sollten sich derartige Beiträge häufen, wird klar, wohin auch in den USA und GB der Hase laufen soll.

Herzliche Grüße

Lutz 

http://www.antikrieg.com/aktuell/2022_05_13_nytimes.htm

NY Times ändert Pro-Kriegs-Narrativ und dokumentiert Scheitern der USA in der Ukraine
Schlägt vor, dass die USA ihren Stellvertreterkrieg gegen Russland beenden

von John V. Walsh*

Die New York Times hat eine Aufgabe zu erfüllen - und sie hat diese Aufgabe in den letzten Monaten spektakulär gut erledigt. Nach Meinung dieses Autors ist die Times führend bei der Darstellung des US-Krieges in der Ukraine, einer Geschichte, die die Moral aufrechterhalten, dem Krieg einen hohen moralischen Zweck verleihen und die unzähligen Milliarden rechtfertigen soll, die aus den Taschen der Steuerzahler in Joe Bidens Stellvertreterkrieg gegen Russland fließen. Tag für Tag hat die Times in Wort und Bild allen, auch Politikern und niederen Meinungsbildnern, genau erklärt, was sie vom Krieg in der Ukraine zu halten haben.

Wenn die Times also schreibt, dass die Dinge für die USA und ihren Mann in Kiew, Volodymyr Zelensky, nicht gut laufen, dann ist das eine Geschichte der Art von Mann beißt Hund. Sie sagt uns, dass einige Wahrheiten von unbequem zu unbestreitbar geworden sind. So war es auch bei der Geschichte auf Seite eins am 11. Mai mit der Schlagzeile "Russen halten einen Großteil des Ostens, trotz Rückschlägen".  

Selbst diese anti-narrative Schlagzeile mildert die bittere Wahrheit ab. Im ersten Absatz des Artikels wird die Wahrheit noch deutlicher: "Die täglichen Kämpfe verdecken die geografische Realität, dass Russland Bodengewinne erzielt hat." Nicht "Boden gehalten", sondern "Boden gewonnen" hat. Nicht gerade ein Moralbooster.

Die Times fährt fort: "Das russische Verteidigungsministerium erklärte am Dienstag, dass seine Streitkräfte in der Ostukraine bis zur Grenze zwischen Donezk und Luhansk vorgedrungen seien, den beiden russischsprachigen Provinzen, in denen die von Moskau unterstützten Separatisten seit acht Jahren gegen die ukrainische Armee kämpfen." Hier wird daran erinnert, dass die ersten Schüsse in diesem Krieg nicht am 24. Februar abgefeuert wurden, wie es heißt, sondern vor acht langen Jahren im Donbas. Es ist eine aufrüttelnde Erinnerung für diejenigen, die ihre Unterstützung für den Krieg darauf stützen, "wer den ersten Schuss abgegeben hat", dass ihre "moralische" Sichtweise einen erheblichen blinden Fleck hat.

Die Times fährt fort: ".... Die Einnahme des Donbass in Verbindung mit dem frühen Erfolg der russischen Invasion bei der Einnahme von Teilen der südlichen Ukraine, die an die Halbinsel Krim grenzen, gibt dem Kreml ein enormes Druckmittel bei allen zukünftigen Verhandlungen zur Beendigung des Konflikts."  

Sie fährt fort: "Und die Russen genießen den zusätzlichen Vorteil der Seeherrschaft im Schwarzen Meer, dem einzigen Seeweg für den ukrainischen Handel, den sie mit einem Embargo lahmgelegt haben, das die Ukraine letztlich wirtschaftlich aushungern könnte und bereits jetzt zu einer weltweiten Getreideknappheit beiträgt." Noch mehr schlechte Nachrichten.

Und weiter: "Russland hat eines seiner Hauptziele so gut wie erreicht: die Einnahme einer Landbrücke, die russisches Territorium mit der Halbinsel Krim verbindet." Und: "Die letzte Hochburg des ukrainischen Widerstands in diesem Gebiet, das Stahlwerk Azovstal in Mariupol, wurde auf ein paar hundert hungrige Soldaten reduziert, die sich größtenteils in Bunkern verschanzt haben." Autsch!

Schließlich wendet die Times ihre Aufmerksamkeit der Wirtschaft zu: "Der Krieg hat die ukrainische Wirtschaft unter enormen Druck gesetzt, da die Infrastruktur und die Produktionskapazitäten stark zerstört wurden", so die Bank in einem Wirtschaftsbericht. Die Bank schätzt, dass 30 bis 50 Prozent der ukrainischen Unternehmen geschlossen haben, 10 Prozent der Bevölkerung aus dem Land geflohen und weitere 15 Prozent Binnenvertriebene sind." Das sind insgesamt 25 % der Bevölkerung, die aus ihren Häusern vertrieben wurden.

Aufgelockert wird diese traurige Geschichte von Scheitern, Elend und Tod durch viel Wortwitz, einige Anekdoten von der Front und die Aussage von Avril Haines, der Direktorin des Nationalen Nachrichtendienstes, deren Zeugnis zurückhaltend, aber düster ist. Aber wenn man es mit Bedacht liest, zeichnet sich ein großes Scheitern des Unternehmens ab.

Also werfen die USA in ihrer Panik weiterhin Berge von Geld in das Problem, etwa 63 Milliarden Dollar, wenn man die jüngste Infusion von etwa 40 Millionen Dollar einbezieht, die gerade durch den Senat pfeift und vom Repräsentantenhaus mit nur 57 Nein-Stimmen, alles Republikaner, bereits verabschiedet wurde. (Und darin liegt eine weitere Geschichte, der Niedergang der Antikriegsstimmung in der Demokratischen Partei und ihre Wiedergeburt unter den populistischen Tucker-Carson-Republikanern, die sich in dieser Sache mit den GOP-Libertären zusammengetan haben).

Aber warum diese abrupte Änderung des Tons bei der Times? Laxe redaktionelle Aufsicht? Das scheint nicht der Fall zu sein, denn pünktlich am selben Tag erscheint ein Meinungsartikel mit dem Titel: "America und seine Alliierten wollen Russland ausbluten. Das sollten sie wirklich nicht tun". Darin wird vorgeschlagen, dass es für die USA an der Zeit ist, die weiße Fahne zu schwenken.

Der Artikel schließt wie folgt:  

"Je länger der Krieg dauert, desto größer ist der Schaden für die Ukraine und desto größer ist das Risiko einer Eskalation. Ein entscheidendes militärisches Ergebnis in der Ostukraine könnte sich als schwer zu erreichen erweisen. Doch das weniger dramatische Ergebnis einer schwelenden Pattsituation ist kaum besser. Eine unendliche Verlängerung des Krieges, wie in Syrien, ist mit atomar bewaffneten Teilnehmern zu gefährlich.

"Diplomatische Bemühungen sollten das Herzstück einer neuen Ukraine-Strategie sein. Stattdessen werden die Grenzen des Krieges ausgeweitet und der Krieg selbst als Kampf zwischen Demokratie und Autokratie dargestellt, bei dem der Donbas die Grenze der Freiheit ist. Dies ist nicht nur eine deklamatorische Extravaganz. Es ist rücksichtslos. Die Risiken müssen kaum genannt werden."

Es scheint, dass einige in der außenpolitischen Elite und in anderen Bereichen des Tiefen Staates die drohende Katastrophe für den Stellvertreterkrieg gegen Russland, der von Biden, Nuland, Blinken und dem Rest der neokonservativen Kabale geführt wird, erkannt haben. Die Aussicht auf einen nuklearen Holocaust am Ende dieses Weges könnte ausreichen, um sie aus ihrer exzeptionalistischen Erstarrung zu wecken. Sie scheinen den Zug, den sie in Bewegung gesetzt haben, stoppen zu wollen, bevor er über die Klippe fährt. Es ist nicht klar, ob sie sich durchsetzen werden. Aber es ist klar, dass wir die Verantwortlichen für dieses gefährliche Debakel aus der Macht vertreiben müssen - bevor es zu spät ist.
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*erschienen am 11. Mai 2022 auf > Antiwar.com

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