24.05.2022

Neue Haltung zur Ukraine:
New York Times
klingt plötzlich wie Sahra Wagenknecht


Die einflussreichste Zeitung der Welt fordert den US-Präsidenten auf, Selenskyj Grenzen aufzuzeigen. Krieg mit Russland sei nicht in Amerikas Interesse.

Das Sturmgeschütz der amerikanischen Liberalen, die New York Times, hat ihre Haltung zum Ukraine-Krieg überraschend geändert. Die wohl einflussreichste Zeitung der Welt veröffentlichte am Freitag einen Kommentar de Editorial Boards, in dem vor einer Ausweitung des Krieges gewarnt und nach den Zielen Amerikas in der Ukraine gefragt wurde.

Die New York Times forderte US-Präsident Joe Biden in dem Text dazu auf, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Grenzen westlicher Unterstützung aufzuzeigen. Es könne nicht im Interesse Amerikas sein, in einen langwierigen und kostenreichen Krieg mit Russland hineingezogen zu werden. Die Äußerungen des 1896 gegründeten Editorial Board der New York Times sind auch deshalb so bemerkenswert, weil sie traditionell die Haltung der Ostküstenelite in Grundsatzfragen wiedergibt.

Im März behauptete die New York Times noch das Gegenteil

Im März unterstütze die Times noch die Forderung, dass „egal, wie lange es dauert, die Ukraine frei sein wird. Die Ukraine verdient Unterstützung gegen die unprovozierte Aggression Russlands, und die Vereinigten Staaten müssen ihre Nato-Verbündeten anführen, um Wladimir Putin zu zeigen, dass das atlantische Bündnis bereit und in der Lage ist, seinen revanchistischen Ambitionen zu widerstehen“.

Dieses Ziel wolle man auch jetzt nicht aufgeben, „doch liegt es nicht in Amerikas Interesse, sich in einen totalen Krieg mit Russland zu stürzen, auch wenn ein Verhandlungsfrieden der Ukraine einige harte Entscheidungen abverlangen könnte“.

Wohin soll das alles führen?

In dem Text verweist die New York Times auf das 40-Milliarden-Dollar-Soforthilfepaket für die Ukraine, das diese Woche verabschiedet wurde – und zitierte gleichzeitig Avril Haines, die Direktorin des Nationalen Nachrichtendienstes. Sie warnte kürzlich vor dem Streitkräfteausschuss des Senats, dass die nächsten Monate unbeständig sein könnten. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland könnte „eine unvorhersehbarere und potenziell eskalierende Richtung einschlagen“. Die New York Times spricht in diesem Zusammenhang von „außerordentlichen Kosten und ernsten Gefahren“ und verlangt von US-Präsident Joe Biden Antworten auf die Frage: Wohin soll das alles führen?

Es werde immer schwieriger, zu erkennen, was die Ziele der Amerikaner in der Ukraine seien. „Versuchen die Vereinigten Staaten beispielsweise, zur Beendigung dieses Konflikts beizutragen – und zwar durch eine Regelung, die eine souveräne Ukraine und eine Art von Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland ermöglicht? Oder versuchen die Vereinigten Staaten jetzt, Russland dauerhaft zu schwächen? Hat sich das Ziel der Regierung darauf verlagert, Wladimir Putin zu destabilisieren oder ihn zu stürzen? Beabsichtigen die Vereinigten Staaten, Wladimir Putin als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen?“, fragen die New Yorker.

Ohne klare Kriegsziele gefährdet das Weiße Haus den Frieden in Europa

Die Kommentatoren gehen so weit zu sagen, dass, sollten diese Fragen nicht klar beantwortet werden, das Weiße Haus den „langfristigen Frieden und die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent“ gefährde. Das Leid der Ukraine habe die Amerikaner zwar aufgerüttelt, aber die Unterstützung der Bevölkerung für einen Krieg, der weit weg von den US-Küsten stattfinde, werde nicht ewig andauern.

Die Inflation sei für die amerikanischen Wähler ein viel größeres Problem als die Ukraine, und die Störungen auf den globalen Lebensmittel- und Energiemärkten werde diese wahrscheinlich noch verstärken.

New York Times warnt vor verfrühtem Siegestaumel

Auch warnt die New York Times vor einem verfrühten Siegestaumel. Es sei verlockend, die verblüffenden Erfolge der Ukraine gegen die russische Aggression als Zeichen dafür zu sehen, dass die Ukraine mit ausreichender amerikanischer und europäischer Hilfe kurz davor stehe, Russland auf seine Positionen vor der Invasion zurückzudrängen. „Doch das ist eine gefährliche Annahme.“

Ein militärischer Sieg der Ukraine über Russland, bei dem die Ukraine das gesamte Gebiet, das Russland seit 2014 erobert hat, also den gesamten Donbass und die Krim, zurückerobert, sei kein realistisches Ziel. Russland bleibe zu stark und Putin habe zu viel persönliches Prestige in die Invasion investiert, um einen Rückzieher zu machen.

Die Vereinigten Staaten und die Nato seien bereits militärisch und wirtschaftlich stark involviert. „Unrealistische Erwartungen könnten sie immer tiefer in einen kostspieligen, langwierigen Krieg hineinziehen. Russland, wie angeschlagen und ungeschickt es auch sein mag, ist immer noch in der Lage, der Ukraine unsägliche Zerstörungen zuzufügen, und ist immer noch eine nukleare Supermacht mit einem verärgerten, unbeständigen Despoten, der wenig Neigung zu einer Verhandlungslösung gezeigt hat.“

Bisher hätten die Amerikaner durch ihre finanzielle, militärische und nachrichtendienstliche Unterstützung der Ukraine sehr geholfen. Doch die New York Times verlangt, dass Präsident Biden im vierten Monat des Krieges nun „Präsident Wolodymyr Selenskyj und seinen Leuten klarmacht, dass es eine Grenze gibt, wie weit die Vereinigten Staaten und die Nato gehen werden, um Russland zu konfrontieren, und Grenzen für die Waffen, das Geld und die politische Unterstützung, die sie aufbringen können“.

Das wäre ein dramatischer Kurswechsel der westlichen Mächte. Es würde die ukrainische Verhandlungsposition gegenüber Russland schwächen. Doch die Times verlangt: „Die Entscheidungen der ukrainischen Regierung müssen unbedingt auf einer realistischen Einschätzung ihrer Mittel und der Frage beruhen, wie viel Zerstörung die Ukraine noch verkraften kann. Die Konfrontation mit dieser Realität mag schmerzhaft sein, aber sie ist keine Beschwichtigung. Das ist die Pflicht der Regierungen, nicht einem illusorischen ‚Sieg‘ hinterherzujagen.“

Russland werde noch jahrelang unter der Isolation und den lähmenden Wirtschaftssanktionen zu leiden haben, Putin werde als Schlächter in die Geschichte eingehen. Die Herausforderung bestehe nun darin, „die Euphorie abzuschütteln, die Verhöhnung zu beenden und sich auf die Definition und Vollendung der Mission zu konzentrieren“.

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20.5.22

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