27.05.2022

Liebe Genossen und Freunde,
dieser Beitrag von Anton Latzo bedarf keines Kommentars.
Viel Vergnügen beim Lesen.
Siegfried Eichner

 

UZ vom 27. Mai 2022

Über den Tisch gezogen

Die USA haben kein Interesse an einer kollektiven Sicherheitsordnung. Das zeigt die NATO-Russland-Grundakte von 1997

Von Anton Latzo

Mit der Niederlage des Sozialismus in Europa, mit der Zerschlagung der Sowjetunion und der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation war eine neue sicherheitspolitische Situation in Europa und auch weltweit entstanden.

In der Erhaltung der Hegemonie der USA sehen die Herrschenden des Kapitals gegenwärtig einen Hauptweg zur Rettung ihres Systems. Die NATO wurde dabei als Hauptinstrument zur Erreichung ihrer Ziele in Europa und darüber hinaus auserkoren. Mit ihr will man Dominanz und umfassende Herrschaft in der Weltpolitik sichern, in der es nur noch ein Machtzentrum gibt, die USA.

In einem solchen Kontext hatte die Grundakte NATO-Russland eine wichtige Funktion zugunsten der weiteren Durchsetzung der USA-Strategie zu erfüllen. Am 27. Mai 1997 wurde die „Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit“ zwischen der NATO und Russland unterzeichnet. Laut Übereinkommen sollte die Grundakte und der auf ihrer Grundlage gegründete NATO-Russland-Rat „das wichtigste Forum für Konsultationen zwischen der NATO und Russland in Krisenzeiten oder in Bezug auf jede andere Situation bilden, die den Frieden und die Stabilität berührt“.

Bis in die Gegenwart hinein hatte sie aber keine diese Ziele fördernde Rolle in den Beziehungen der Vertragspartner gespielt. Aber nicht fehlender oder gesunkener Gesprächsbedarf, sondern inhaltlicher Dissens, mangelndes Vertrauen und fehlender politischer Wille auf USA-Seite sind Ursachen dafür.

Der damalige neu ernannte russische Außenminister Jewgeni Primakow, der politische Pate von Präsident Putin, erklärte schon 1997, „die wahre rote Linie“ für Russland sei, „wenn sich die Infrastruktur der NATO in Richtung Russland bewegt“. Dies sei „inakzeptabel“.

Die USA und die anderen NATO-Mächte hofften, für Russland die Erweiterung der NATO nach Osteuropa mit der Grundakte zu versüßen. Der damalige Präsident Russlands, Boris Jelzin, ist diesem Ansinnen auch gefolgt. Er erlaubte Bill Clinton, sowohl die Forderung Russlands nach bindenden Beschränkungen für die Errichtung einer NATO-Sicherheitsinfrastruktur in den neuen Mitgliedsländern zu ignorieren als auch das Verlangen Russlands abzulehnen, ein russisches Veto gegen eine zukünftige Expansionsrunde auch in die ehemaligen Sowjetrepubliken, „insbesondere die Ukraine“, in das Abkommen einzufügen.

Trotz solcher Mängel war die 1997 unterzeichnete Grundakte, gemeinsam mit der 10 Jahre später vereinbarten Erklärung von Rom über die neue Qualität der Beziehungen zwischen Russland und der NATO ein positiver Schritt, weil Russland und der Westen eine gemeinsame Verpflichtung übernahmen, Sicherheit auf der Grundlage des Respekts der Interessen des jeweils anderen zu garantieren, das gegenseitige Vertrauen zu stärken, eine euro-atlantische Spaltung zu vermeiden und Trennlinien zu beseitigen. Dieser Einschätzung fügte der russische Außenminister Lawrow auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2017 aber hinzu, dass Kriege „auch in den Köpfen der Menschen beendet werden“ müssen.

Die Betrachtung der Grundakte verdeutlicht, dass die USA-Regierung schon in den 1990er Jahren kein wirkliches Einvernehmen unter gleichberechtigten Verhandlungspartnern suchte. Sie sperrte sich dauernd gegen eine neue Friedensordnung, die auf kollektiver Sicherheit und einer gesamteuropäischen Lösung auf der Grundlage der Erfahrungen der KSZE beruhen würde. Sie strebte bewusst eine exklusive Sicherheitsordnung, ohne bzw. gegen Russland, eine „NATO-Lösung“ an, die auf fortwährender US-Militärpräsenz in Europa beruht und damit die USA-Dominanz in Europa als Vorstufe der Verwirklichung ihrer eurasischen Ziele sichern würde.

Diese Ziele und die darauf beruhende Politik der USA und ihrer NATO-Verbündeten gehören zu den wahren Ursachen der Auseinandersetzungen in der Ukraine. Die Osterweiterung der NATO ist nicht zeitlich oder räumlich begrenzt. Die Kämpfe in der Ukraine sind keine plötzlich eingetretenen Ereignisse, sondern die Konsequenz einer jahrzehntelang verfolgten Politik der USA und ihrer verbündeten NATO-Mächte.

 

Unsere Webseite verwendet für die optimale Funktion Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.