04.12.2022

Ukrainische Menschenrechtlerin: „Alle haben Angst“

 

Liebe Genossen und Freunde,

so sieht also die politische und Menschenrechtslage in der Ukraine aus. Für mich ist vieles in den Aussagen vergleichbar mit Deutschland nach den Januar 1933. Viele glaubten, dass es „doch so schlimm nicht kommen kann.“
Aber es kam eben doch viel Schlimmer.
Und wo bitte sind all unsere khakifarbigen Menschenrechtsvertreter?

Siegfried Eichner



Ukrainische Menschenrechtlerin Larissa Schessler:
„Alle haben Angst“

von Ulrich Heyden

Larissa Schessler ist Vorsitzende der „Union der politischen Flüchtlinge und politischen Gefangenen“ in der Ukraine und von Beruf Ingenieurin. Sie lebte in der südukrainischen Stadt Nikolajew. 2014 emigrierte sie nach Russland, weil in der Ukraine ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden war. Schessler hatte sich in Nikolajew zusammen mit anderen Aktivisten für die Föderalisierung der Ukraine und mehr Rechte für die russischsprachigen Regionen im Südosten der Ukraine eingesetzt. Im Interview, das Ulrich Heyden in Moskau mit ihr führte, berichtet Schessler, was seit 2014 aus den oppositionellen Bewegungen in der Ukraine geworden ist.

Man hört nichts mehr von der Opposition in der Ukraine. Was ist aus ihr geworden?

Die Opposition in der Ukraine ist heute physisch und politisch vernichtet. Alle Organisationen und Oppositionellen und alle Medien, die oppositionelle Meinungen verbreiteten, wurden zum Schweigen gebracht. Noch vor dem Februar 2022 wurden alle Informationskanäle geschlossen, über welche die Opposition ihre Informationen verbreitet hat. Fünf Fernsehkanäle und einige Medienhäuser wurden aufgrund von Beschlüssen der Werchownaja Rada und des ukrainischen Sicherheitsrates geschlossen. Auch Internetportale und andere Medien wurden geschlossen. Das widersprach der Verfassung und den Gesetzen. In der Ukraine gibt es heute kein freies Wort. Es gibt keine Freiheit für politische Organisationen. Es wurde eine totale Diktatur errichtet.

Die Kommunistische Partei und andere linke Organisationen existieren nicht oder existieren sie im Untergrund?

Heute sind die Kommunistische Partei der Ukraine, die Sozialistische Partei der Ukraine, die Progressive Sozialistische Partei der Ukraine, die Union der Linken Kräfte und zahlreiche weitere Organisationen in der Ukraine verboten. Die Führer dieser Organisationen werden verfolgt. Sie werden aus der Ukraine vertrieben.

Die Führer der Oppositionsparteien sind aus der Ukraine geflüchtet?

Einige habe die Ukraine verlassen, einige sind in der Ukraine geblieben. Entweder sie leben im Verborgenen oder sie waren gezwungen, die Ukraine zu verlassen.

Was ist aus der größten Oppositionspartei der Ukraine – der „Oppositionsplattform – für das Leben“ – geworden? Die Partei war mit 44 Abgeordneten im Parlament vertreten. Im August letzten Jahres wollten laut einer Umfrage 19 Prozent für diese Partei stimmen.

Für Selenski war diese Partei besonders unangenehm, denn sie war seine Hauptkonkurrentin im Südosten der Ukraine. Selenski kam nicht als Nazi oder Führer radikaler Gruppen an die Macht. Er kam an die Macht, weil er auch prorussische Wähler gewann. Nach dem Februar 2022 wurde die Oppositionsplattform wegen ihrer prorussischen Einstellung verboten. Heute befindet sich die Oppositionsplattform in einer schwierigen Lage. Einige Führer – wie Viktor Medwetschuk – wurden verhaftet, andere – wie Wadim Rabinowitsch – fuhren ins Ausland. Die Übrigen – wie der Abgeordnete Juri Boiko – sprechen von der „russischen Aggression“. Nichtsdestotrotz droht den Abgeordneten der Oppositionsplattform der Entzug der Abgeordnetenmandate. Sie müssen auch mit tätlichen Angriffen ukrainischer Nationalisten rechnen.

Haben die linken Kräfte in der Ukraine und Sie persönlich im Jahr 2014 eine solche Entwicklung erwartet?

Der Angriff des totalen Nationalismus begann 2014. Und jeder Mensch, der logisch denkt, konnte erwarten, dass Nationalismus und Nazismus früher oder später enden mit dem totalen Verbot der oppositionellen Parteien. Aber so eine brutale Diktatur habe sogar ich nicht erwartet, obwohl gegen mich 2014 ein Strafverfahren eingeleitet wurde.

Strafverfahren wegen Forderung nach Föderalisierung

Was war der Grund, dass Sie nach Russland übergesiedelt sind? Welchen Status haben Sie heute in Russland?

Ich habe die Ukraine im Mai 2014 verlassen. Ich war Koordinator des Anti-Maidan in der Stadt Nikolajew. Gegen mich wurde ein Strafverfahren eröffnet. Wir forderten den föderalen Status der südöstlichen Regionen der Ukraine. Aber niemand wollte damals den Südosten von der Ukraine abspalten.

Sehr viele Genossen sind ins Gefängnis gekommen. Ich konnte dem entgehen, indem ich die Ukraine verlassen habe. Aber das Strafverfahren in der Ukraine gegen mich läuft weiter. Es wurde nur zeitweise ausgesetzt.

In den Regionen der Ukraine gibt es sehr verschiedene Mentalitäten. Während der Westen der Ukraine ukrainischsprachig ist, so war der Osten der Ukraine immer russischsprachig. Das Verbot, in der russischen Sprache zu sprechen, was 2014 begann, hängt damit zusammen, dass die Ukraine kein föderaler Staat ist und die Regionen kein Recht haben, ihre regionale Sprache zu sprechen und ihre regionale Kultur und ihre regionalen Werte zu unterstützen.

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