29.09.2025

Ex-NVA-Angehörige retten die Heimatfront

(Ein Beitrag der als Satire geschrieben wurde, aber wohl eher eine Tragikomödie ist)

 

Es gab da in jüngster Zeit eine Reihe von Auftritten und Erklärungen von politischen Funktionären und Politikern, in denen Ideen vorgetragen wurden, mit denen personelle Engpässe in unterschiedlichen, aber wichtigen Bereichen unserer Gesellschaft wenn schon nicht überwunden so doch wenigstens abgemildert werden sollten.
Allen gemein hatten diese Ideen, dass sie besser als Teil von Büttenreden, denn als Handlungsvorschläge getaugt hätten.

Begonnen hatte DIW-Präsident Fratzscher mit dem “Vorschlag“, Senioren sollten ein verpflichtendes Soziales Jahr leisten. Zum „Tag der deutschen Einheit“ sprang ihm unser Bundespräsident zur Seite, jedoch mit der Erweiterung, dass jeder Bürger ein Soziales Jahr leisten sollte.

Wenn man schon mal beim Dienst fürs Vaterland ist, da gehören unbedingt die Ideen von Bundestagsabgeordneten Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke) und Unionsfraktionsvize Sepp Müller hinzu, die angesichts der prekären Personalsituation der Bundeswehr in ehemaligen Soldaten der NVA den Personaljungbrunnen für die Bundeswehrreserve, vor allem den Heimatschutz, sehen.

Zur letzteren Idee will ich aber später kommen. Zunächst zu den Vorstellungen bezüglich des Sozialen Jahres.

Ich weiß nicht, in welchen Parallelwelten diese beiden Herren unterwegs waren.
Fakt ist, durch ihr ehrenamtliches Engagement in den vielfältigsten Bereichen halten hunderttausende Senioren gesellschaftliches Leben in diesem Land am Laufen. Ohne sie ginge Vieles einfach nicht oder nicht mehr.
Will Herr Fratzscher dieses ehrenamtliche Agieren zur Pflicht zumindest für ein Jahr machen? Welche Konsequenzen würden daraus entstehen?
Möglicherweise meint er es gut mit den Senioren, denn bei einem verpflichtenden Jahr könnten die Senioren eine Aufwandsentschädigung bezahlt bekommen, ähnlich der Übungsleiterpauschale.
Möglich wäre natürlich auch, dass an die Sozialdienstleistenden eine Vergütung durch die Bundesagentur für Arbeit gezahlt wird und für diese Zeit die Rentenzahlung eingestellt und somit die Rentenkasse entlastet wird.
Mit der Umsetzung entstehen natürlich rein praktische Fragen. Gibt es ab einem gewissen Grad körperlicher Beeinträchtigung „Freistellungstatbestände“?
Wären Rollstuhlfahrer z.B. freizustellen oder werden genau sie benötigt?
Mit so einem Rollstuhl können doch bestens Kinder in die Kitas gebracht und wieder abgeholt werden. Wäre eine spürbare Entlastung für die Eltern. Auch können Rollstuhlfahrer ohne weiteres Einkaufsfahrten und andere Transportaufgaben für weniger mobile übernehmen.
Es gibt auch noch eine weitere Kompetenz bei den heutigen Rentnern, die bei jüngeren Generationen immer weniger ausgeprägt ist.
Wir können noch Lesen, auch Vorlesen.
Wenn es auch bei vielen von uns nicht mehr ohne Sehhilfe geht, könnten wir in Kitas und Schulen Kindern diese fast schon vergessene Kunst- und Kulturfertigkeit wieder näher bringen.

Noch einmal zurück zu der Idee von Herrn Fratzscher.
Definitiv sprach er auch den möglichen Einsatz von Senioren bei der Bundeswehr an.
Dazu habe ich natürlich bei uns im Verband herumgefragt.
Ja, wir wären dazu bereit, aber nur mit unserem NVA-Dienstgrad. Und der Einsatz dürfte nicht zum Staubwischen in irgendeinem der, inzwischen wegen der Verbringung sämtlicher Reserven in die Ukraine, leeren Bundeswehrlagern erfolgen. Es sollten schon unsere militärischen Kompetenzen berücksichtigt werden.
Wir gehen natürlich davon aus, dass die Bundeswehr Unterbringung und Verpflegung sowie medizinische und sozio-kulturelle Betreuung übernimmt.
Vergüten müsste die Bundeswehr uns dann selbstverständlich entsprechend des übernommenen Dienstpostens. Die Vergütung dürfte höher sein als unsere aktuelle Rente, die könnte dann für die Zeit dieses Pflichtjahres aussetzen. Allerdings müsste der Dienst sich rentensteigend auswirken.
Es gibt natürlich einige Kleinigkeiten, die hingebogen werden müssten, aber die Bundeswehr hat in anderen Zusammenhängen bewiesen, dass sie das kann.
Viele von uns sind nicht mehr so flink auf den Beinen. Einige sind auf den Rollator oder den Rollstuhl angewiesen. Einsatz- und Gefechtsfahrzeuge müssten dann rollator-/rollstuhltauglich sein. Das kann in etwa so gehändelt werden, wie seinerzeit, als Frau Nahles Arbeitsministerin und Frau van der Leyen Verteidigungsministerin war. Damals wurde ein fertig entwickeltes Gefechtsfahrzeug für 36 Mio. € mit anderen Sitzen nachgerüstet, um den Anforderungen schwangerer Soldatinnen zu entsprechen.
(Hallo Arbeitsrechtler und Mutterschützer, wo und seit wann darf eine schwangere Soldatin an körperlich schweren Diensten wie der Gefechtsausbildung teilnehmen?).
Außerdem bedarf es wegen so manchen Gelenkzipplerlein die Bereitstellung von Voltaren, Küttersalbe oder ähnlichem. Und Inkontinenzmittel nicht vergessen, so mancher von uns hat es mit der Prostata.

Jetzt gebührt die Ehre unserem Bundespräsidenten.
Er möchte den Sozialdienst für die gesamte Bevölkerung verpflichtend sehen.
Sehr ambitioniert, denn auch hier sind seit Ewigkeiten hunderttausende ehrenamtlich aktiv. Soll dieser Sozialdienst über das Ehrenamt hinausgehen? Ist er als 8-Stunden-Tag gedacht. Sind die Sozialdienstleistenden, wenn sie schon in Arbeit stehen, von ihren Arbeitgebern für diese Zeit frei zu stellen? Oder soll er verbindlich nach Schulabschluss vor einer Berufsausbildung oder einem Studium geleistet werden? Ersetzt die Verpflichtung zum Dienst in der Bundeswehr, bei der Polizei oder dem Zoll diesen verpflichtenden Sozialdienst?
Wer finanziert diesen Sozialdienst? Können Asylsuchende mit herangezogen werden?
Fragen über Fragen.
Übrigens, meine Mutter und meine Schwiegermutter hatten nach Abschluss ihrer Grundschule ähnliches zu leisten.
„In Stellung gehen“ hieß das damals, oder darf man das jetzt nicht vergleichen.
Mutter hat in einer Molkerei gearbeitet. Hat als 14jährige 20–Liter-Milchkannen geschleppt.
Schwiegermutter musste als Haus-/Kindermädchen in der Familie eines kinderreichen Nazibonzen dienen.

Jetzt zu den Gedankenspielereien der Herren Bartsch und Müller.
Um zu verstehen warum gerade jetzt diese Ideen aufkommen, muss man „horchen“ (sagt der Sachse) woher der Wind weht.
Herr Pistorius, Bundesminister der Verteidigung, will dieses Land und die Bundeswehr wieder kriegstauglich machen. Dafür sieht er den Aufwuchs des Personalbestandes der Bundeswehr von 180 000 Mann auf 260 000 Mann (hätte ich jetzt Männ*innen scheiben müssen?) vor. Das ist ein sehr ambitioniertes Unterfangen.
Es sollen ungefähr so viele neue Dienstposten geschaffen und besetzt werden, wie 1990 Berufssoldaten und Offiziere der NVA ins gesellschaftliche Abseits geschickt wurden.
Entgegen den Festlegungen im Einigungsvertrag wurden nämlich von den 80.000 Berufssoldaten und Offiziere der NVA nicht 25.000 sondern nur knapp 5.000 Berufs-soldaten und Offiziere der NVA übernommen.
Hat man jetzt diese Männer im Blick?
Nein, es geht nicht um jene knapp 5.000 NVA-Angehörige, die die Gnade erfuhren, in der Bundeswehr weiter verwendet zu werden.
Bei Beendigung ihres Dienstes waren sie Angehörige der Bundeswehr und unterliegen den Regelungen der Bundeswehr in Bezug auf Reservedienst.
Es geht tatsächlich um jene 75.000 Berufsunteroffiziere und Offiziere der NVA, vor denen sich die Bundeswehr und die maßgebenden Politiker 1990 „geekelt“ haben.
Ihnen wurde das Stigma „gedient in fremden Streitkräften“ angehängt, das noch heute ihre Verwendung als Reservisten der Bundeswehr verhindert.
Will dieser Staat und die Bundeswehr nun auf diese Männer und deren militärische Kompetenz zurückgreifen, muss das Stigma „gedient in fremden Streitkräften“ fallen und die NVA als die „andere“ deutsche Armee anerkannt werden.
Das muss man natürlich erst einmal wollen.
Die andere Frage ist, ob die Bundeswehr überhaupt an diese Männer herantreten kann.
In diesem Land stellen die Meldeämter der GEZ die neuen Meldedaten nach dem Umzug von Bürgern anstandslos und umgehend zur Verfügung, damit diese in der Lage ist Rundfunkgebühren ohne Unterbrechung einziehen zu können.
Die Bundeswehr erhält „aus Gründen des Datenschutzes“ diese Unterstützung nicht. So die Reservisten sich nicht eigenständig bei der Bundeswehr ab- und ummelden, weiß die Bundeswehr nicht, wo sich ihre Reservisten befinden.
Von Interesse ist natürlich auch, bis zu welchen Alter Reservisten Dienst leisten müssen/sollen/können.
Gilt hier auch die Regelaltersgrenze?
NVA-Angehörige, die 1990 20 Jahre alt waren, sind heute 55 Jahre alt.
Sind sie für die Bundeswehr von Interesse?
Was ist mit denen, die 1990 30 Jahre alt waren und schon höhere Dienststellungen eingenommen hatten?
Für die Männer meines Alters (über 70 Jahre) gilt dann, was ich weiter oben bei Herrn Fratzscher geschrieben hatte.
Es wird immer vom Reserveeinsatz in der Heimatschutztruppe gesprochen. Die bewacht ja „nur“ Infrastrukturobjekte und sorgt dafür, dass die aktive Truppe rasch und störungsfrei an die Front kommt. Wo wird die blos liegen?
Ich jedenfalls kann mich erinnern, an der Offiziershochschule eine Belegarbeit über die 2 x 6 Heimatschutzbrigaden der Bundeswehr geschrieben zu haben. Sie waren damals in erster Linie Mobilmachungsreserve und hätten jeweils den Grundstock für 2 x 6 Mob-Divisionen gebildet. Das dürfte heute nicht anders geworden sein.
Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, was Herrn Bartsch ausgerechnet jetzt erwogen hat, dieses Thema aufzugreifen.
Er hat von 1976 – 1978 seinen Grundwehrdient bei den Fallschirmjägern der NVA auf Rügen geleistet. Damit ist er auch mit dem Stigma „gedient in Fremden Streitkräften“ befleckt. Nun bewegt sich aber „Die Linke“ im Bundestag in Richtung „demokratische Mitte“, wie z.B. bei der Kanzlerwahl sichtbar wurde. Da kann es für den Einzelnen durchaus hilfreich sein, durch die „Amnestie des Dienstes in der NVA“ nicht mehr mit einem derartigen Stigma behaftet zu sein.

Grundsätzlich ist aber eins zu bedenken:
Angehörige der NVA haben einen Fahneneid (nicht nur ein Gelöbnis) geleistet, in dem sie schworen, … der Deutschen Demokratischen Republik … allzeit treu zu dienen
Was ist mit denen, die sich diesem Eid immer noch verpflichtet fühlen?
Wird dieser Eid beim Reservedienst bei der Bundeswehr und dem damit verbundenen Gelöbnis auf die Bundesrepublik einfach so überschrieben wie bei einer Neuaufnahme auf einem schon benutzten Tonträger?

Freie Presse vom 29.09.2025

Was mir fehlt, ist die Frage bei einem so ernsten Thema wie diesem,
was passiert, wenn der „Verteidigungsfall“ erklärt bzw. ausgerufen würde.
Ich will jetzt gar nicht auf die Frage eingehen, wer denn nun die Bundesrepublik angreifen sollte. Es liegt wohl nahe, dass der Angreifer aus der Richtung kommen dürfte, in der die Zerstörer von Nordstream zu suchen sind.
Im Verteidigungsfall greift der Staat ja wohl auf die gesamte geeignete Bevölkerung zu und behält sich deren Einsatz im Interesse der Verteidigung vor.
Männer vorrangig für den Dienst in den Streitkräften, außer den wie es früher hieß „ukv“-Gestellten, Mediziner im Sanitätswesen usw..
Liese man dann die ehemaligen, einst militärisch ausgebildeten NVA-Angehörige außen vor? Kaum zu glauben.
Was ist eigentlich mit der nicht unbedeutenden Anzahl deutscher Staatbürger, die in der ehemaligen Sowjetunion bzw. in Russland geboren wurden und auch dort ihren Militärdienst geleistet haben?

Also, nicht jede kurzfristig toll erscheinende Idee ist auch wirklich eine gute Idee. Die Welt, also auch die Politik (und dazu gehört ja auch die Militärpolitik) sind nicht eindimensional sonders absolut komplex.
Also nicht nur andenken, sondern wirklich konsequent bis zu Ende denken.
Aber nun mal ehrlich, es wird Zeit, diesen Quatsch mit „gedient in Fremden Streitkräften“ zu beenden.
Andererseits dieses Problem löst sich dann spätestens auf natürliche Weise.
Mit oder ohne Herrn Bartsch und Herrn Müller.

Siegfried Eichner. Oberstleutnant a.D.
Regionalgruppe Berlin

 

 

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