Gedanken und Erinnerungen
anlässlich der 25-jährigen Wiederkehr
des Sieges der bundesdeutschen Reaktion
über die souveräne Deutsche Demokratische Republik

von
Gefreiter Peter Nerger, Vorstandsmitglied der Regionalgruppe Berlin unseres Verbandes

 

Mit meinen Gedanken hege ich nicht die Absicht, in irgendeiner Weise diese Tage und Monate zwischen 1989 und 1990 geschichtshistorisch bzw. philosophisch zu bewerten, dies können Andere sicherlich besser als ich. Dennoch bin ich, ebenso wie viele meiner Generation, als Kind dieses Staates DDR Akteur einer Zeit,sicherlich auch mit vielen Ecken und Kanten behaftet, wo wir uns entwickeln konnten, lieben konnten und uns zunehmend, Dank vieler Freunde und Bekannten sowie politischen Mitstreitern, zu Persönlichkeiten entwickelten, die, immer den Vergleich mit der kapitalistischen BRD vor Augen, unser eigenes Weltbild aufbauten.

Besonders für mich und meine Familie war diese Entwicklung stets eine Berg- und Talfahrt der Gefühle und Emotionen. Grund war, dass unsere Mutter holländischer Nationalität war, stets damit konfrontiert wurde, als Bürgerin unserer Republik einseitig sein zu müssen. Doch stets unsere Zukunft im  Auge  versuchte sie, die Liebe zur Heimat vorzuleben und es mangelte nicht an guten und ernst gemeinten Hinweisen und Lebenserfahrungen. Sie halfen mir, im Gegensatz zu anderen Familienangehörigen, meinen eigenen Weg zu gehen.

Als gelernter Matrose der Hochseefischer erlebte ich bereits frühzeitig, wie bei arbeits-bedingten Begegnungen mit Kollegen aus Cuxhaven oder Wilhelmshaven rein menschlich alles im Guten schien, aber andererseits erlebte ich die verlogene Seite der Vertreter der BRD in Norwegen und Kanada. Viele sind auf die andere Seite der Barrikade gewechselt, die Mehrzahl blieb.

Die Zeit kam, als ich eine Einladung zur Musterung erhielt, meinen Grundwehrdienst bei der Flak anzutreten. Wahnsinnig begeistert, hatte ich mich doch gerade sesshaft gemacht und unsere Tochter war unterwegs. Hocherfreut war ich aber, als man mir in der Vorbereitungs-phase mitteilte, dass mein neuer Dienstort erst einmal das Ausbildungsregiment der Grenz-truppen in Mühlhausen werden sollte. Vielerorts wurde mir von Freunden und weniger befreundeten Bekannten die Frage gestellt, ob dieser Wechsel ein Dankeschön für das in mich gesetztes Vertrauen und meine bisherige gesellschaftliche Arbeit ist oder ob ich ein Spitzel des MfS sei, da ja bekannt sei, dass keiner an die Grenze kommt, der Westverwandtschaft hat.

Still und klamm heimlich setzte ich mich in den Zug nach Mühlhausen. Die ersten Tage und Wochen waren logischerweise kein Zuckerschlecken, die Ausgänge waren dürftig, Essen gewöhnungsbedürftig, aber, es gab Vorgesetzte, die einfühlsam und konsequent aus uns Angehörige einer Truppe machten, die nun mal notwendig war, unsere Staatsgrenze mit Weitsicht und bei Bedarf mit entsprechender Härte zu schützen.

Da auch ich wusste, dass der künftige Einsatz an der Staatsgrenze West keine Vergnügungs-tour sein würde, war ich mit mir selbst ins Reine gelangt, meine erhaltene Pionierausbildung mit den Notwendigkeiten eines verantwortungsvollen Grenzdienstes in Einklang zu bringen. Dazu diente zuallererst die Kenntnis der Schusswaffengebrauchsbestimmung und der Grenz-ordnung, aber auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Grenzbevölkerung und das notwendige persönliche Verhältnis zu meinen Mitsteitern. Bei meinem ersten Einsatz an der Grenze, auf dem Weg ins Streifen- und Kontrollrevier, war ich in Gedanken noch bei der ersten Vergatterung mit den nochmaligen Hinweisen auf die Nutzung der Signalmittel, die Nutzung des GMN und hauptsächlich die Anwendung der Waffe. Ich traute mich kaum, meine Füße vorwärts zu bewegen, immer Gefahr laufend, unnötige Geräusche zu verursachen. Nachdem mein Postenführer mir nochmals das Notwendigste erläutert hatte, fragte ich ihn, fast kindlich naiv, wie weit es denn noch bis zu den Grenzsicherungsanlagen wäre. Er schmunzelte nur und zeigte mir im Halbdunkel - es war gerade die Sonne verschwunden - dort, wo du den Stacheldraht siehst, dahinter beginnt der Westen. Zunächst wurde ich bei diesem Anblick aus meinen bisherigen Irrglauben gerissen, eine Trotzburg vorzufinden. Als erfahrener Grenzer machte er einen sicheren Ort aus und gab mir seine eigenen Erfahrungen mit den bewaffneten „ Brüder und Schwestern „ kund. Da waren die Angehörigen des BGS, die sind aber bisweilen hier harmlos. Weitaus gefährlicher, nicht berechenbar, sind die Zöllner. Hauptsächlich ehemalige Angehörige der militarisierten Garde des ehemaligen faschistischen deutschen Staates.

Mit der Aneignung von Erfahrungen kam zur Einsicht in die Notwendigkeit auch die Liebe zu diesem verantwortungsvollen Dienstes, gepaart mit der Freude an dieser herrlichen Natur und seinen Menschen. Als gewählter FDJ-Sekretär der Grenzkompanie, mitten im Eichsfeld gelegen, gab es auch hin und wieder Situationen, die nachdenklich stimmten. Um Beispiel das Geschehen zu Fronleichnam (Frühjahrs- wie Herbstprezessionen), aber auch Gespräche in der Dorfkneipe. Es war auch die Frage gegenüber den Kameraden zu beantworten, was ist wichtiger sei, Päckchen bauen oder einen Dienst an der Grenze zu machen, der keinem erlaubt, unsere Grenze zu verletzen, egal ob von Ost nach West oder umgekehrt.

Mein schönstes Erlebnis war es aber, dass ich während meiner Dienstzeit zwei jungen Menschen erklären konnte, dass es zur Kommunion auch eine Alternative gab, die Jugendweihe. Sie machten beides.

Das Vertrauensverhältnis zwischen dienstlichen Vorgesetzten und Soldaten war so ausgezeichnet, dass mir manchmal sogar schummrig wurde. Dies zeigte sich bei einer Begebenheit, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Eines Tages tauchte in unserer Grenzkompanie ein Major aus dem übergeordneten Grenzbatallion auf. Da die Genossen, die frei hatten ohne Käppi, Koppel und „ Männchen machen“ an ihm vorbeigingen, war es für ihn ein absolute Beleidigung seines Dienstgrades. Konsequenz: Kompaniechef, Politnik und ich als FDJ-Sekretär wurde zum Rapport gerufen, mit der einleitenden Frage, ab welchen Dienstgrad wird denn in dieser Kompanie gegrüßt? Auch, nachdem wir versuchten, ihm den Tagesablauf und die Prioritäten zu erläutern, bestand er auf die Ansetzung einer Mitgliederversammlung. Nachdem ihm ein junger Genosse die Gegenfrage stellte, ob es denn nach seinem Dienstgrad auch noch höhere gäbe, zumal uns eine Woche vorher der Chef der Grenzbrigade besuchte und dazu keinerlei Bemerkungen machte, im Gegenteil, allen Dank aussprach für die bisherige Sicherung der Staatsgrenze in unseren Abschnitt, zog er es vor, unter Angabe wichtiger ausstehender Termine, die Heimreise anzutreten.

Auch wenn man sicherlich noch manches über diese Zeit kund tun könnte, so war es doch manchmal sehr verlockend, den in ihrer Zeit stehen geblieben Mitmenschen auf der West-seite, bei Zeigen ihrer Ärs… gern mal mit einer Schrotflinte eine Portion Juckpulver drauf zu brennen.

Meine Kameraden, auch die, die nach uns kamen, haben unsere Staatsgrenze vor Provo-kationen und Verletzungen, notwendigerweise mit der Waffe in der Hand und mit viel Besonnenheit, sauber gehalten. Leider waren 1989 Andere klüger, auch wenn unsere Klassiker uns immer wieder auf dem Weg gaben, eine Revolution muss verteidigt werden, wenn notwendig, auch mit der Waffe in der Hand.

Ehrendes Gedenken allen Angehörigen der Grenztruppen, die für eine gute und menschliche Gesellschaftsordnung ihr Leben lassen mussten und allen, die eine Verletzung unserer Grenze verhütet haben.