Gefangen im eigenen Propagandanetz

(von Oberst a.D. Frithjof Banisch)

Seit Jahrzehnten ist jedem Bundesbürger von den politischen Eliten erklärt worden, dass gesicherte Grenzen im Widerspruch zur Freiheit stehen. Das Beispiel DDR muss bis heute dafür als der Beweis gelten. Im Zusammenhang damit stehende damalige Bedrohungslagen an den Grenzen zweier Weltsysteme und souveräne Rechte von Staaten werden einfach ausgeblendet. Kein Mittel der Massenbeeinflussung wurde bei der Verbreitung dieses politisch motivierten Unsinns im Kalten Krieg ausgelassen. Und der Unsinn setzt sich bis in die Gegenwart fort. Gezielt knüpft man an den ewig bestehenden und völlig natürlichen menschlichen Wunsch an, die eigenen Grenzen überwinden zu können. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein", singt man arglos. Mit den fortwährenden Sprüchen wie „Mauern müssen fallen" oder „grenzenloses Europa", oder „Reisen ohne Grenzen" propagieren Medien die Freiheit ohne Grenzen an jeder passend erscheinenden Stelle und sogar als ein vermeintliches Menschenrecht. Inzwischen sitzt der Aberglaube an die grenzenlose Freiheit tief im Bewusstsein der Menschen, nicht nur in Deutschland. Grenzen sind zu etwas Negativem mutiert. Man wolle doch nicht schon wieder Mauern und Zäune errichten, erklärt gegenwärtig stereotyp und hilflos so mancher Politiker angesichts des Flüchtlingsstroms nach West- und Mitteleuropa. Seit Jahren sind die sich verändernden inneren und äußeren Bedingungen für die Gewährleistung von Recht und Sicherheit, also auch für eine weitsichtige Migrationspolitik und eine angemessene Sicherung und Kontrolle der Außengrenzen des Schengenraumes sträflich vernachlässigt worden. Das Schengener Abkommen wurde auf den Weg gebracht von bürgerlichen westeuropäischen Realpolitikern und Beamten. Es begünstigt maßgeblich die ökonomische Entwicklung in einem Wirtschaftsraum, um gegenüber den USA und China konkurrenzfähig zu bleiben. Die Abschaffung ständiger Grenzkontrollen begünstigte maßgeblich die Herstellung optimaler Bedingungen für die Kapitalverwertung in diesem Raum. Dazu zählt auch die Verwertung des freien Humankapitals, also der Arbeitskräfte. Deren freie und flexible Verfügbarkeit war und ist ein Ziel von Schengen, um das sogenannte freie Spiel der Marktkräfte zu ermöglichen. Die grenzenlose Reisefreiheit und die freie Wahl des Wohnortes für diesen Raum wurden zu Bedingungen der Wirtschaftslobby der Unterzeichnerstaaten. Diese scheinbar grenzenlose Freiheit ist also ein Nebenprodukt mit großer Überzeugungskraft, weil erlebbar für die Bürger. Die für die Sicherheit der Außen- und Binnengrenzen zuständigen Leute in Legislative und Exekutive der Schengenstaaten bewegte allerdings die brennende Frage: Wie weiter mit der Durchsetzung von Recht und Sicherheit in diesem riesigen Wirtschaftsraum angesichts der zwangsläufig entstandenen Freiheit für potentielle Kriminelle, für alle Spielarten organisierter Kriminalität und für Terroristen in diesem Raum? Die gegenwärtigen und zukünftigen Konflikte in angrenzenden Regionen der Welt mit ihren möglichen Wirkungen in den Wirtschaftsraum hinein verboten und verbieten heute und in Zukunft, sich dem Unglauben der Freiheit ohne Grenzen hinzugeben. Die Schutzfunktion der Staaten gegenüber dem System einerseits und den Bürgern andererseits besteht unverändert und deshalb gibt es sein Gewaltmonopol. Wie sonst wird der so genannte „Schengener Besitzstand" - der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" garantiert? Deshalb muss jeder Schengenstaat mit Abschnitten gemeinsamer Außengrenze des Raumes zu Land und zu Wasser die Kontrolle bei der Ein- und Ausreise von Personen und Sachen und die Fahndung übernehmen. An den Flug- und Seehäfen aller übrigen Staaten bleibt das in nationaler Verantwortung. Die daraus erwachsenden Maßnahmen durch koordiniertes Handeln im Grenzschutz umzusetzen ist anspruchsvoll.

Eine operative Komponente für den Grenzschutzt des Schengenraumes war nötig. Mit der 1994/95 gegründeten Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX mit Sitz in Warschau, mit gegenwärtig ca. 350 Bediensteten und einem Jahresbudget von ca. 88 Mio.€, entstand eine Agentur als Einrichtung des europäischen öffentlichen Rechts zum Zweck der operativen Zusammenarbeit mit den Grenzschutzorganen der Mitgliedsstaaten. Sie hat den Auftrag zur Erstellung und der Analyse von Lagebildern, zur Koordinierung des Einsatzes der nationalen Grenzschutzkräfte und deren Verstärkung durch Kräfte aus Nachbarstaaten, zur Anleitung der Ausbildung, zur Beobachtung und Einflussnahme auf Forschungen und die Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden der EU-Staaten. Somit hat FRONTEX zur Wahrung des Schengener Besitzstandes im Wirtschaftsraum, also für Sicherheit und Recht und Freiheit, wesentlich beizutragen. Wenn man die reale materielle, personelle und juristische Ausstattung von FRONTEX im Verhältnis zur Aufgabenstellung betrachtet, so entspricht der augenfällige Widerspruch dem jahrelangen Desinteresse der politischen Eliten an diesem so unpopulären Problem, dem wirksamen Schutz der Außengrenzen durch die betreffenden Staaten. Nicht wenige Politiker sind befangen in dem Jahrzehnte lang selbst erzeugten und ständig nachwachsenden Aberglauben an die Freiheit ohne Grenzen. Das findet eine Bestätigung in vielen Medien. Die Gläubigsten unter dem politischen Nachwuchs verstehen immer noch die freie Wahl des Wohnortes und die Bewegungsfreiheit als grenzenlose Freiheit an sich, und sie negieren oder verdrängen die waren ökonomischen Hintergründe. Doch die Zeiten ändern sich und mit ihnen die maßgeblichen wirtschaftlichen und politischen Interessen.

Der wirksame Schutz der Außengrenzen der EU - Staaten   in gemeinsamer Anstrengung erlaubt heute keinen Platz mehr für die utopischen Sprüche von der Freiheit ohne Grenzen.

Dieser Unsinn wird nicht zuletzt durch die Maßnahmen zur Grenzsicherung in vielen Staaten längst ad absurdum geführt. Aus mittlerweile schon existenziellen Gründen kann es der Wirtschaft der EU heute nur um die Erhaltung von Schengen und die energische Bekämpfung der Ursachen der Fluchtbewegung in den Ländern ihres Entstehens gehen. Es geht um die Einschränkung der Migrationsströme. Es geht um die konsequente Vermeidung der Destabilisierung weiterer Staaten und Regionen auch mittels Stärkung des Einflusses der UN und ihres Sicherheitsrates im Interesse der Sicherheit Europas. Es geht um die Schaffung sicherer und menschenwürdiger Zufluchtsorte für Flüchtlinge an den Grenzen der betroffenen Regionen und in deren Nachbarstaaten mit internationaler Hilfe und bei besonderer Inanspruchnahme der USA als Hauptverursacher der Konflikte. Von allen EU-Staaten müssen die Aufwendungen beim Schutz der Außengrenzen getragen werden. Qualifizierte nationale Grenzschutzorgane und multinational koordinierte Anstrengung mittels FRONTEX werden notwendig, um die durchgehende Ein- und Ausreisekontrolle von Personen und Sachen und die funktionierende Fahndung an den EU-Außengrenzen und an den Flug- und Seehäfen zu garantieren und illegale Grenzübertritte zu erkennen. Eine gegenwärtig nicht auszuschließende hohe Anzahl an bereits illegal eingereisten Kriminellen und zum Terror bereiten Fanatikern einerseits und die immer explosivere und weitgehend falsch bewertete Stimmungslage in Teilen der Bevölkerung andererseits gebieten politisches und organisatorisches Handeln, um Sicherheit und Recht im einheitlichen Wirtschaftsraum zu garantieren.

Außerdem müssen die ernsthaft gefährdeten Beziehungen der West- und Mitteleuropäer mit Russland im eigenen Interesse belebt werden. Ein hoch gerüstetes instabiles Russland gefährdet die physische Existenz der EU. Die objektiv gegebenen wirtschaftlichen und kulturellen Potentiale auf dem europäischen Kontinent mit asiatischer Anbindung hätten die europäische Komponente in einer mehrpolaren Welt stärken können. Sie hätten geholfen, zukünftigen Herausforderungen gemeinsam auf friedlichem Wege zu begegnen. Die ernst gemeinten Aktivitäten und Verlautbarungen von Repräsentanten der Russischen Föderation im Interesse eines sich friedlich entwickelnden Kontinents Europa in wirtschaftlicher Kooperation und gegenseitiger Achtung der staatlichen Souveränität fanden keine wirklich positive Resonanz im Westen. Das übliche Messen mit zweierlei Maß und die wiederholten Wortbrüche und Demütigungen durch die Offiziellen aus Brüssel, der NATO und Politiker einzelner EU- Staaten im Umgang mit Russland haben mittlerweile ernste Folgen. Es gibt Anzeichen dafür, das die Russische Föderation die in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten angestrebten engen Beziehungen mit der NATO, West- und Mitteleuropa nicht mehr als für ihre Entwicklung entscheidend betrachtet. Damit haben die USA und ihre osteuropäischen Vasallen ein Spiel mit dem Feuer begonnen. Gezündet wurde dieses Feuer letztendlich im Februar 2014 in Kiew. Damit gilt jeder Versuch einer Strategische Partnerschaft der EU für Russland inzwischen wohl als gescheitert. Außerdem hat der Einfluss der USA bei bunten Revolutionen, lokalen Kriegen und dem so genannten arabischen Frühling zu einer zunehmenden und gewollten politischen Instabilität in den meisten west- und mitteleuropäischen Staaten geführt. Dazu zählen auch die oben angeführten Probleme des sicherheitspolitisch inzwischen ins Straucheln kommenden Schengenraumes. Das wird die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht beflügeln. Die Entwicklungen der globalen Wirtschaft und speziell die Entwicklung im gesamten eurasischen Raum eröffnen der Russischen Föderation durchaus Alternativen.