Zum 55. Jahrestag der Indienststellung
der ersten Raketenschnellboote der Volksmarine

Theodor Hoffmann, Admiral a. D.

Am 26. November1962 wurden in einem feierlichen Akt durch den Stellvertreter des Chefs der Volksmarine für Technik und Bewaffnung, Konteradmiral Felix Scheffler, die beiden ersten von der Sowjetunion erworbenen Raketenschnellboote im Hafen Peenemünde-Nord in Dienst gestellt.

Die Sowjetunion hatte der Entwicklung von Flügelraketen großes Augenmerk geschenkt. Begonnen wurde mit ihrer Entwicklung im Jahre 1951. 1955 wurde der Beschluss zum Bau einer seegestützten Flügelrakete mit der Bezeichnung P-15 gefasst. Die Akzeptanz der P-15 in der Sowjetflotte war zu-nächst nicht groß – als Mängel wurden Flüssigkeitstreibstoff, große Flughöhe und die großen Hangare angesehen. Im Juli 1958 erfolgte der erste Start einer P-15 von einer Plattform an Land, wenig später im September 1958 erfolgten Starts von einem Boot des Projektes 183 E, welches zunächst als Träger vorgesehen war, auf eine verankerte Scheibe. Beim zweiten Schießen wurde der 1. Treffer erzielt.

Die Aufgabenstellung für die Erarbeitung des Projektes 205 erfolgte erst 1956, bis zur Übergabe des ersten Bootes vergingen weitere 4 Jahre. Die Erprobungsphase des Projektes erfolgte 1960/61. Die Volksmarine erhielt also bereits ein Jahr nach Abschluss der Erprobungen die ersten beiden Raketen-schnellboote. Die Führung der Volksmarine hatte rechtzeitig einen richtigen Entschluss gefasst. Die Volksmarine erreichte damit einen beträchtlichen Zuwachs an Kampfkraft, die Raketenschnellboote bildeten fortan den Kern der Stoßkräfte.

Von nun an wurde der Vervollkommnung des Einsatzes der Raketenschnellboote ganz besonderes Au-genmerk geschenkt. Ihr erfolgreicher Einsatz setzte jedoch ein enges Zusammenwirken mit anderen Flottenkräften und mit Fliegerkräften voraus. Nur so konnte der technologische Vorsprung gegenüber den NATO-Seestreitkräften in der Ostsee, der mit der Indienststellung der Raketenschnellboote erreicht wurde, wirksam umgesetzt werden. Daraus ergaben sich weitaus höhere Anforderungen an die Ausbil-dung der Besatzungen dieser Boote, aber auch an alle Arten der Sicherstellung.

Neben der Entscheidung zur Einführung der Raketenschnellboote war die Auswahl der wichtigsten Kader und ihre Vorbereitung auf die Übernahme und den Einsatz dieser Technik von erstrangiger Bedeutung: ausgewählt wurden die fachlich Besten und die Zuverlässigsten. Ein Teil der Offiziere wurden schon 1961 ausgewählt und zu einem Lehrgang in die Sowjetunion entsandt. Dieser Lehrgang fand vom 01.09.1961 bis 31.10.1962 in Baku statt. War die Ausbildung fern der Heimat und getrennt von den Familien nicht einfach, so war sie doch sehr notwendig und erfolgreich. Ohne den hohen persönlichen Einsatz der Lehrgangsteilnehmer wäre die schnelle Meisterung der Raketentechnik nicht möglich gewesen. Die Teilnehmer am Lehrgang in Baku gingen zu Recht als Pioniere der Raketenbe-waffnung in die Geschichte der Volksmarine ein.

Unmittelbar nach Beendigung des Lehrganges in Baku begann die Formierung der RSB-Abteilung. Es erfolgte die Zuversetzung von Offizieren, Meistern, Maaten und Matrosen aus anderen Einheiten oder Lehreinrichtungen der Volksmarine. Über eine Spezialausbildung für Raketenschnellboote verfügte der neue Personalbestand nicht. Aber die Auserwählten waren hoch motiviert und stolz darauf, auf dem neuen Bootstyp der Volksmarine zu fahren.

Es waren vor allem Gründe der Geheimhaltung, den Hafen Peenemünde-Nord als Basierungspunkt für die Raketenschnellboote auszuwählen, dem wurden die Dienst- und Lebensbedingungen der Besat-zungen geopfert. Wenn man berücksichtigt, dass von den 187 Booten verschiedener Modifikationen dieses Projektes 120 exportiert wurden, darunter auch in kapitalistische Staaten, war die Geheim-haltung aus heutiger Sicht doch etwas übertrieben.

RS-Boot

Ein großer Höhepunkt in der Entwicklung der RS-Brigade war der erste Raketenschießabschnitt der Volksmarine in der Zeit von 05. Bis 13. Mai 1964 im Raum Balttijsk. Dieser erste Raketenschieß-abschnitt war ein voller Erfolg. Die Raketenschnellbootsbrigade hat jährlich an Raketenschieß- abschnitten teilgenommen. Obwohl die Bedingungen ständig komplizierter gestaltet wurden, hat sich an den Ergebnissen in all den Jahren nichts geändert. Es wurde jeweils die Note „Ausgezeichnet“ erreicht – ein Zeichen der Zuverlässigkeit sowjetischer Kampftechnik und des hohen Ausbildungsstandes der Raketenschnellbootsbesatzungen und des Personalbestandes der Technischen Abteilung. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass sich die Raketen P-15 auch im Gefechtseinsatz bewährten. So im Nahostkrieg im Jahre 1967, als von der ägyptischen Marine vier Raketen gestartet wurden, die den israelischen Zerstörer „Elath“ vernichteten. Dieser erste Kriegs-einsatz war eine Sensation. Ein weiterer Einsatz erfolgte im indisch-pakistanischen Konflikt 1971, als neben Schiffen auch Landobjekte erfolgreich bekämpft wurden.

Nicht erfolgreich gestaltete sich der Einsatz der syrischen Raketenschnellboote im Nahostkrieg 1973, als sie in wiederholten Einsätzen gänzlich ohne Erfolg blieben. Durch Tarnung und Täuschung der Seestreitkräfte Israels verfehlten alle Raketen die vorgesehenen Ziele. Die Erfahrungen dieses Krieges wurden in den Flotten des Warschauer Vertrages besonders gründlich ausgewertet.

Die Volksmarine leistete einen wichtigen Beitrag zur Vervollkommnung dieses Waffenkomplexes und seines Einsatzes. Das sind besonders die Verkürzung der Zeit für die Vorstartkontrolle und die Fest-legung eines Bereitschaftssystems der Raketen bei Aufenthalt in See, das Schießen nach Angaben von Fühlungshaltern in den verschiedensten Varianten sowie die Entwicklung neuer Verladegerüste, die ständig mitgeführt werden konnten und die Zeit für die Übernahme der Raketen wesentlich verkürzten.

Neben den Raketenschießabschnitten, die immer Höhepunkt und für alle Beteiligten ein besonderes Erlebnis waren, gab es weitere besondere Ereignisse, die sich in das Gedächtnis der ehemaligen Ange-hörigen der Raketenschnellbootsbrigade einprägten wie
- die Verleihung der Truppenfahne an die Brigade;
- die Namensgebung an die Raketenschnellboote im November 1965;
- der Abschluss der Formierung der Brigade im Dezember 1965;
- die Modernisierung der Boote ab 1965 in Tallin;
- die Inspektion in der 6. Flottille durch das Ministerium für Nationale Verteidigung, in der die Raketen-schnellbootsbrigade als erster Truppenteil der Nationalen Volksarmee die Bewertung „Sehr gut“ erhielt.

Anfang der 80er Jahre waren sowohl die Boote als auch die Raketen moralisch verschlissen. Neueinführungen ließen auf sich warten. So wurden unter großem Aufwand der Besatzungen, der Rückwärtigen Dienste und der Peenewerft die Boote in einem technischen Zustand gehalten, der ihren Einsatz gewährleistete. Dabei wurde Hervorragendes geleistet und sichergestellt, dass die Volksmarine ihre in der Militärkoalition des Warschauer Vertrages übernommenen Verpflichtungen zuverlässig erfüllen konnte.

Seit der Indienststellung der ersten Raketenschnellboote bis zum Beitritt der Deutschen Demokrati-schen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland fuhren etwa 4.000 Marineangehörige auf den Booten des Projektes 205, noch mehr waren in den Rückwärtigen zu ihrer Sicherstellung tätig. Von den Leistungen der Angehörigen der Raketenschnell boote zeugt auch, dass 4 ehemalige Angehörige der Brigade den Admiralsgrad erreichten, etwa 20 Kapitäne zur See wurden und 9 promovierten.

Auch im zivilen Sektor standen Raketenschnellbootsfahrer ihren Mann. Von den Meistern, Maaten und Matrosen nahmen viele nach dem Armeedienst ein Studium auf. Als Kapitäne und Leitende Ingenieure in der Handelsflotte, als Direktoren von volkseigenen Einrichtungen, als Wissenschaftler und Lehrer sowie in den verschiedensten Bereichen der Wirtschaft vollbrachten sie auf Seemannsart hervorragen-de Leistungen

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