13. August 1961

Diesen Tag, vorherige und nachfolgende erlebte ich hautnah, denn am 10. August 1961 abends, verlegte das MSR 28  mit der gesamten Rädertechnik in den Raum Groß Schönebeck bei Berlin. Der Landmarsch erfolgte ab Rostock über Waren-Müritz, Fürstenberg/Havel, Lychen und die Kettenfahrzeuge verlegten im Eisenbahntransport zum Ziel. In Erfüllung der Bestimmungen aus der Übungsschadenverhütungsordnung und in meiner Eigenschaft als Offizier für Finanzen stellte ich nach Prüfungsfahrten vor  Ort fest: "Keine Schäden an fremden Eigentum." Am 11. und 12. August 61 erfolgten Überprüfungen der Einsatzbereitschaft der Technik und der Ausrüstung am Mann und allgemein. Die mitgeführte Munition wurde unter Verschluss genommen, außer Pistolenmunition der Offiziere. Am 12.08.61 wurde Ruhe einnehmen ab 15:00 Uhr für den gesamten Personalbestand, außer Wacheinheit, befohlen. Der Kommandeur der 8. MSD und sein Stellvertreter Politische Arbeit und alle Regimentskommandeure und die Kommandeure der selbständigen Einheiten mit ihren StKPA, erhielten den Befehl  am 12.8.61 18,00 Uhr im Gästehaus des MfNV in Wilkendorf zu einer "Filmveranstaltung „ zu erscheinen. Dort wurde ihnen um 20:00 Uhr der Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung der DDR zur Kenntnis gegeben, bereit und in der Lage zu sein, nach einer Stufe des Gefechtsalarms und der ihnen vorgegebenen X-Zeit die ihnen zugewiesenen Einsatzräume in Berlin zu beziehen. Die Kommandeure erhielten ihre Einsatzdokumente und den Befehl ihre Einsatzräume zu rekognoszieren. (Direkt vor Ort bewerten und die Stellungen der Truppen festzulegen) Sie hatten die eintreffenden Einheiten zu empfangen, die Kommandeure in die Lage vor Ort, sowie in ihre Handlungsräume, Aufgaben und Verhalten im Einsatz einzuweisen. Die StKPA hatten sofort in ihre Einheiten zurückzukehren und dort um 24:00 Uhr Gefechtsalarm auszulösen, die Marschbereitschaft herzustellen, wie auch den Beginn der Verlegung abzusichern. Dem angetretenen Personalbestand wurde zu dieser Zeit die Herstellung ihrer persönlichen Gefechtsbereitschaft befohlen und den angetretenen Einheiten wurde der Beschluss des Ministerrats der DDR zur Sicherung der Staatsgrenze der DDR zu Berlin - West, der vom Oberbefehlshaber der Truppen des "Warschauer Vertrages" befohlen war, bekannt gegeben. In der Nacht kam der Befehl "Volle Gefechtsbereitschaft", Verladung der Kettenfahrzeuge auf Eisenbahnwaggons, Marschbeginn der Rädertechnik zum Bereitstellungsraum in Berlin, Bekanntgabe ihres Unterbringungsraumes. Am 13.08.1961 01:11 Uhr verkündete der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst der DDR die Erklärung der Regierungen der Staaten des Warschauer Vertrages über die Notwendigkeit der Grenzsicherung zu Westberlin. 
Die Panzereinheiten bezogen ihre zugewiesenen Stellungen und die Rädereinheiten, ihre taktischen Kennzeichen waren, entfernt oder übermalt, starteten zu "Demonstrationsfahrten". Sie fuhren nach Ablaufplänen, zeitlich abgestimmt, vorgegebene Routen.
Weil dadurch augenscheinlich immer neue und immer mehr Truppen der NVA sich bewegten und ein regelrechtes Truppengewimmel vorhanden war, entstand ein Bild von einer gewaltigen militärischen Übermacht. Näherten sich zu viele Menschen den stationierten Panzern, wurden die Motoren angelassen und ein wenig Turmbewegung praktiziert und Ruhe war hergestellt. Keiner von uns wusste ja wer da kam und mit welcher Absicht. Wir Altgedienten sagten zu den jungen Stoppelhopsern:
"Der bessere Teil der Tapferkeit eines Soldaten ist immer noch seine sehr ausgeprägte Vorsicht!" Zum Zwecke einer verbesserten Aufklärung der westlichen Seite empfing unser Offizier-Aufklärung die Uniform eines Offiziers der Volkspolizei, konnte damit vor bis auf die Angehörigen der Kampfgruppen bzw. Volkspolizei und seine Aufklärungsposition verbessern. Beeindruckend war, die Westdeutsche-Westberliner-Aufklärung hatte keine Ahnung von dem was geschah. Der Volksmund hatte jedoch ganz schnell einen Spruch bereit. "Mit dem Spitzbart (Walter Ulbricht) da im Osten Skat zu spielen hat keinen Sinn. Der reizt nur bis 13 und dann mauert er!"
Was kam noch hinzu zum 13.08.61?
In der DDR fanden Wahlen statt und der Bezirk Rostock war dabei. Die Wahldurchführung klappte und die versiegelte Wahlurne flog, mit militärischer Bewachung, mit einem AN-2-Doppeldecker nach Rostock.
In der NVA standen im Herbst viele NVA-Angehörige des dritten Diensthalbjahres sowie Unteroffiziere nach Ableistung ihrer drei Jahre aktiven Wehrdienstes zur Versetzung in die Reserve. Dann fehlten den Einsatzkräften erfahrene und sehr gut ausgebildete Soldaten. Also Schwerstarbeit und Einsatz aller verfügbaren Kräfte um unter der Losung: "Wir dienen freiwillig 6 Monate weiter!" viele dieser Soldaten im aktiven Wehrdienst zu behalten. In der 8. MSD war das Resultat: von 828 UaZ machten 681 und von 1.175 Soldaten, 807 ein halbes Jahr weiter. Die Bereitschaft zum Dienst für die DDR und für die Sicherung und Erhaltung für den Frieden war gewaltig.
Ich fuhr am 17.8.61 mit einem Lkw nach Rostock und kam am 18.8.61 mit der sehr gut organisierten und für Stäbe, Kompanien und selbständige Einheiten schon in besonderen Behältnissen verpackten Monatsbesoldung nach Berlin zurück. Nahm die Auszahlung am Vormittag vor und verteilte an die Einheiten Postanweisungen. Am späten Nachmittag nahm ich die nicht auszahlbaren Monatsbezüge (Urlauber, Klinik, Diensttuend in Rostock) sowie die Geldüberweisungen für Familien und Zahlungsverpflichtungen an. 204.000 Mark der DDR gingen in einer Nachtsitzung in einer Berliner Postfiliale über den Schalter und zu den Empfängern und ich müde, kaputt und froh auf eine Pritsche im Berliner Dienstzimmer des OvD des MSR 28. Die Wolldecke, auf der ich ruhte, hatte ein großes schwarzes A = Ausgesondert aufgesprüht bekommen und das trug ich am nächsten Morgen auch auf meinem weißen Unterhemd. Nicht mehr löschbar.

Oberstleutnant a.D. Carl-Franz Lembke,
Gedient vom 01.11.1948 bis 28.02.1979 in der VP-Land MV, in der Mecklenburger VP-Bereitschaft, in der Kasernierten Volkspolizei und der NVA.

 

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