Erste Gedanken zum Weißbuch 2016

von Admiral a.D. Theodor Hoffmann

Nun liegt es also vor: Das Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr.
Es beschreibt den Platz der Bundesrepublik Deutschland in der Welt, in der NATO und in der Europäischen Union.
Ausführlich werden die Risiken und Gefahren für die Sicherheit beschrieben und Möglichkeiten zu ihrer Überwindung aufgezeigt.
Der überwiegende Teil des Weißbuches ist der Zukunft der Bundeswehr gewidmet. Das ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass es unter Federführung des Bundesministeriums der Verteidigung erarbeitet wurde und nicht vom Auswärtigen Amt, das für die Sicherheit, vor allem für politische Lösungen, eine größere Verantwortung trägt.
Mit vielen Einschätzungen und Lösungsansätzen kann man durchaus einverstanden sein. Sie müssten jedoch durch die Politik zielgerichtet umgesetzt werden.
Im einleitenden Teil unterstreicht die Bundeskanzlerin, dass es notwendig ist, Krisen und Konflikten vorzubeugen, und, dass das Weißbuch ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte sein soll, wie Deutschland seine Sicherheitspolitik gestaltet.
Es bleibt zu hoffen, dass sich die Bundesregierung in ihrer Sicherheitspolitik von den Ergebnissen der gesellschaftlichen Debatte leiten lässt. Die praktische Politik folgt ja nicht immer der Meinung der Mehrheit der Gesellschaft.
Wer die Ausführungen und Veröffentlichungen führender Politiker ständig verfolgte, wird vom Inhalt des Buches nicht überrascht sein.
Wie vom Bundespräsidenten während der Sicherheitskonferenz in München gefordert, wird die Notwendigkeit der Übernahme größerer Verantwortung durch Deutschland auch im militärischen Bereich, die Rolle Deutschlands als europäische Führungsmacht in der NATO sowie die Übernahme von Führungsverantwortung bei Militäreinsätzen, wiederholt unterstrichen.
Diese Forderung wird gegenwärtig schon erfüllt. Deutschland ist an fast allen Militäreinsätzen der NATO oder einzelner NATO-Partner in dieser oder jener Form beteiligt.
Ein weiterer Schritt in diese Richtung ist die Übernahme der Führung eines Bataillons, das nach Beschluss des NATO-Gipfels von Warschau, in Litauen, also unmittelbar an der Grenze zu Russland, stationiert werden soll.

Bei der Schilderung der Risiken und Gefahren für die Sicherheit wird davon ausgegangen, dass die Hauptgefahr von Russland ausgeht.
Die Personalprobleme der Bundeswehr und Wege zu Lösung derselben, werden sehr ausführlich behandelt.
Ebenso werden die Forderungen nach Modernisierung von Technik und Bewaffnung, möglichst in Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern, begründet.
Die dafür in Aussicht gestellten Schritte werden besonders die Berufssoldaten der Bundeswehr erfreuen.
Da das alles mit mehr Ausgaben verbunden ist, muss der Verteidigungsetat, entsprechend eines NATO-Beschlusses auf 2% des BIP erhöht werden.

Es ist ersichtlich, dass die Bundesregierung in der Sicherheitspolitik dem militärischen Faktor eine bedeutende Rolle zuschreibt. Das geht sowohl aus dem Titel des Weißbuches als auch aus dem Umfang, den man der Bundeswehr widmet, hervor.
Dabei besagen die Erfahrungen, dass keine der Gefahren mit militärischen Mitteln gelöst werden kann. Das Militär kann Erscheinungsformen zeitweilig unterdrücken. Zu ihrer Beseitigung sind politische Lösungen notwendig.
Hat etwa der Terrorismus nach dem Krieg der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan abgenommen? Das Gegenteil ist der Fall.
Notwendig sind politische Lösungen in internationaler Kooperation. Den Gefahren und Risiken kann nur gemeinsam begegnet werden.

Im Weißbuch stellt sich die Bundeswehr als moderner Arbeitgeber dar. Sie kämpft mit anderen Unternehmen um das qualifizierteste Personal. Dazu passt auch die Erwägung Bürgern der Europäischen Union den Dienst in der Bundeswehr zu ermöglichen. Welchen Status sollen die
EU-Bürger in der Uniform der Bundeswehr haben? Bekommen wir es mit Söldnern zu tun?
Die Motivation der deutschen Jugendlichen für den Dienst in der Bundeswehr ist wahrscheinlich nicht ausreichend.
Die Bundeswehr muss ja auch nicht, wie im Artikel 87a des Grundgesetzes festgelegt ist, zur Verteidigung des Vaterlandes eingesetzt werden, denn Deutschland ist militärisch nicht bedroht.

Hauptaufgabe der Bundeswehr sind Auslandseinsätze im Rahmen des Bündnisses oder mit einzelnen Partnern.
Sie werden begründet mit Terrorismusbekämpfung, Durchsetzung der Menschenrechte, Gewährleistung von Demokratie, Friedensstiftung zwischen kämpfende Parteien, Bekämpfung von Piraterie, Sicherung von Rohstoffquellen und Transportwegen sowie Rettung von Menschen aus Gefahr.
In Ad-hoc Kooperationen werden Auslandseinsätze der Bundeswehr ohne Mandat der UNO nicht ausgeschlossen.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht vor. Sie bedürfen der Zustimmung des Bundestages. Die Bundestagsabgeordneten wären gut beraten, sich bei ihrer Abstimmung von der Meinung der Wähler leiten zu lassen. Mehr als 60% der Bevölkerung sind gegen Auslandseisätze der Bundeswehr.
Im Weißbuch wird behauptet, der Einsatz der Bundeswehr sei immer in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht erfolgt. Das stimmt so nicht. Die Bombardierungen im Krieg gegen Restjugoslawien widersprachen dem Völkerrecht.

Die Bundesregierung sieht den Inlandseinsatz der Bundeswehr in Übereinstimmung mit
Artikel 87a (4) des Grundgesetzes vor.
Möglich ist er zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand des Bundes oder eines Landes.
Diese Festlegung lässt Ermessensspielraum. Sicherlich ist es zweckmäßiger, die innere Sicherheit durch die dafür zuständigen Organe zu gewährleisten und sie dafür personell und technisch auszustatten.

Als eine große Gefahr für die Sicherheit wird Russland genannt. Ich habe in Russland viele Freunde
und habe das Land auch nach dem Zerfall der Sowjetunion sehr oft besucht. Aus den vielen Begegnungen weiß ich, die Russen wollen keinen Krieg. Russische Truppen sind nicht, ohne angegriffen worden zu sein, in ein anderes Land eingefallen. Das steht ganz im Gegensatz zu den USA und ihren Verbündeten. Ihre Kriege gegen Restjugoslawien, Irak, Libyen und in Afghanistan sind noch in schlechter Erinnerung. Die NATO hat keine Veranlassung sich als Friedenswächter darzustellen. Sie hat sich nach dem Ende der Blockkonfrontation in ein Kriegsbündnis verwandelt.
Russland fühlt sich bedroht. Entgegen allen Beteuerungen ist die NATO bis an die Grenzen Russlands vorgerückt. Die Ukraine und Georgien beteiligen sich an NATO-Übungen, werden von Angehörigen der USA-Armee und anderen NATO-Staaten ausgebildet und ausgerüstet. Eine Einladung zur NATO-Mitgliedschaft ist nicht ausgeschlossen. Damit wäre der Ring um Russland weiter geschlossen.
Die Schaffung eines Raketenabwehrsystems, ohne die Einbeziehung Russlands, obwohl ein Angebot Russlands dazu vorlag, und die Stationierung je eines Bataillons der NATO in Polen, Litauen, Lettland und Estland, sind ernste, gegen Russland gerichtete Signale.
Es ist doch wohl logisch, dass Russland seine bewaffneten Kräfte im Westteil des Landes konzentriert und sie dort auch ausbildet, denn die Bedrohung geht vom Westen, von der NATO aus.
Die kleinen NATO-Staaten müssen nicht beunruhigt sein. Von Russland geht für sie keine Gefahr aus. Ein Angriff auf ein beliebiges Land der NATO wäre ein Angriff auf die NATO, auf die stärkste Militärmacht der Welt.
Es ist nicht die Wirkung der Abschreckung, die Russland von einem Angriff abhalten würde.
Das russische Volk weiß, was Krieg bedeutet. Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, mit den etwa 27 Millionen Toten, sind noch nicht vergessen.

Russland ist das größte Flächenland der Welt und der größte Staat in Europa.
Frieden und Sicherheit können nicht gegen, sondern nur mit Russland gewährleistet werden.
Dazu müssen die Partner jedoch auf gleicher Augenhöhe miteinander verhandeln.
Aufrüsten und verhandeln, also Zuckerbrot und Peitsche, sind wie im Weißbuch angekündigt, wohl nicht der richtige Weg.
 

Unsere Webseite verwendet für die optimale Funktion Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.