11. Oktober – 13. Oktober 2015
Zu Gast bei Freunden
Eine kleine Delegation der Havelberger Pionierkameradschaft besuchte anlässlich des 72. Jahrestages der Gründung der Polnischen Volksarmee die Pionierkameradschaft in Włocławek.
Es ist Sonntag der 11. Oktober 2015 – ein Spätsommertag wie er schöner nicht sein kann. Die Sonne begleitet uns auf dem gesamten fast 600 Kilometer langen Weg von Havelberg bis Włocławek. Wir freuen uns auf den Besuch bei der polnischen Pionierkameradschaft und sind gespannt, wie der erste Kontakt mit unseren damaligen Verbündeten des Warschauer Vertrages verlaufen wird. Geschenke haben wir dabei, die unseren polnischen Freunden einen kleinen Eindruck über unsere Heimatstadt Havelberg vermitteln sollen. Es ist Sonntag, also Fahrverbot für LKW, die Autobahn ist frei und wir kommen schnell voran. Nach knapp drei Stunden überqueren wir die Oder bei Frankfurt und sind nun in Polen. Wir sind beeindruckt vom sehr guten Zustand der nach Warschau führenden Autobahn und der Sauberkeit, die wir links und rechts der Fahrbahn sowie auf den Parkplätzen sehen. Hinter Poznań verlassen wir die Autobahn und fahren auf einem gut ausgebauten Straßennetz unserem eigentlichen Ziel entgegen. Nach acht Stunden Fahrt kommen wir in Włocławek an.
Wir werden von Oberst a. D. Dr. Ryszard Chodynicki (rechts im Bild)
am Baza-Hotel in Włocławek empfangen
Włocławek– klassisch und neuzeitlich
Włocławek der Wisla zählt rund 114.400 Einwohner und ist die Hauptstadt von Kujawien im Zentrum Polens, eingebettet in einen Naturpark mit vielen Seen. Die Stadt liegt am größten Stausee Polens (Włocławsli Haff). Sie besticht durch ihre malerische Lage und lange Geschichte: Die erste Siedlung gab es hier schon vor 3.000 Jahren. Nur unweit ist es zu den Städten Toruń (deutsch: Thorn), Bydgoszcz (deutsch: Bromberg), Lodź (deutsch: Lodz) und Poznań (deutsch: Posen). Die polnische Hauptstadt Warszawa (deutsch: Warschau) liegt in südöstlicher Richtung nur ca. 140 km von Włocławek entfernt. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Włocławek sind: der Kopernikusplatz, das Priesterseminar, der Maria-Himmelfahrt-Dom (gotische Kathedrale, eine der ältesten [1340] und höchsten [87 m] Kirchen in Polen mit der Skulptur von Veit Stoß und mit den ältesten Glasfenstern in Polen), der Boulevard an der Weichsel, das Museum des Kujawer und Dobriner Landes sowie das Kulturzentrum Brauerei B.
Der Maria Himmelfahrt Dom
Blick vom rechten Weichselufer auf Włocławek mit dem Maria-Himmelfahrt-Dom im Zentrum und den Bischofspalast
Die Brücke über die Weichsel mit dem Dom im Hintergrund
In Włocławek lebten weltbekannte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel: Nikolaus Kopernikus, Nobelpreisträger Tadeusz Reichstein, Marcel Reich-Ranicki oder Charles de Gaulle. Im nur 10 km entfernten Ort Popowo ist einer der bekanntesten Polen, Nobelpreisträger Lech Wałesa, geboren.
Aus der Geschichte
Die erste Siedlung gab es in hier schon ca. vor 3000 Jahren. Gegen 1000 v. Ch. entstand die Siedlung der bronzezeitlichen Lausitzer Kultur und gegen 500 v. Ch. eine eisenzeitliche Siedlung. Die Werkzeuge aus dieser Zeit sind im Museum für Geschichte in Włocławek zu besichtigen. Im 11. Jahrhundert entstand an der Weichsel eine mittelalterliche Siedlung, die seit 1123 der Sitz eines dem Erzbischof unterstellten Bistums war. Beachtenswert ist, dass im Mittelalter Włocławek die drittgrößte Stadt in Polen war. Hier lebten über 2000 Ritter. Schon im Jahre 1207 wurde die Kathedralschule gegründet. Im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Stadt mehrfach von Deutschen Ordensrittern zerstört und anschließend unterworfen. Aus dieser Zeit stammt auch der deutsche Name Leslau, wahrscheinlich haben diese Bezeichnung zum ersten Mal die Ritter des Deutschen Orden genutzt. Erst der Friedensvertrag von Thorn 1466 sicherte den Frieden.
In der Zeit danach blühte vor allem der Getreidehandel, in der Stadt wurden dafür 27 (!) Getreidespeicher errichtet. Włocławek war zweitgrößtes Getreidezentrum Polens (nach Danzig). Leider zerstörte die Schwedische Invasion 1567 weite Teile Polens, darunter auch Wloclawek.
Nach der zweiten Teilung Polens fiel Włocławek 1793 an Preußen. Nach dem Wiener Kongress 1815 wurde die Stadt Bestandteil des neu gebildeten Kongresspolen. 1831 wurde die Stadt von Russland okkupiert.
Der Erste Weltkrieg zerstörte den Industriestandort. Am 11.11.1918 erhielt Polen und somit auch Włocławek die Unabhängigkeit.
Die Stadt gehörte während des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) zum Reichsgau Wartheland im Deutschen Reich (Stadt- und Landkreis Leslau). Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem ein Drittel der Stadt zerstört wurde, folgte in den Nachkriegsjahren der Wiederaufbau von Fabriken und Werkstätten. 1966 wurde der Bau der gewaltigen Chemiewerke ZAW begonnen (jetzt Anwil SA). Seit 1969 besitzt die Stadt eine Schleusenanlage, die den Wasserstand der Weichsel reguliert. Im Jahre 1991 war Papst Johannes Paul II. in der Stadt zu Besuch.
Viele wichtige Sehenswürdigkeiten wurden leider im Laufe der Zeit zerstört, so z.B. die Bischofsburg und der Dom in romanischen Stil, die Fürstenburg, das Rathaus am Altmarkt, der Kirchen- und Klosterkomplex des heiligen Gotthard der Zisterzienser, die mittelalterliche Altstadt, die Synagogen oder die russisch-orthodoxe Kirche am Freiheitsplatz.
Deutsche Spuren
Erste deutsche Spuren in Włocławek sind mit den Stadtrechten nach Kulmer Recht und der Nachbarschaft mit dem Deutschen Orden nachweisbar.
Eine sehr wichtige Persönlichkeit, die die deutsche und polnische Kultur in Włocławek verbindet, ist Nikolaus Kopernikus. Er wohnte in den Jahren 1488-91 in Vladislavia und besuchte hier die Kathedralschule in der Nähe des Maria-Himmelfahrt-Dom.
In Włocławek finden sich verschiedene Werke deutscher Künstler. So u. a. eine Epitaphplatte von Veit Stoss oder ein Candelabrum von Hans Meyer im Maria-Himmelfahrt-Dom, Skizzen von Albrecht Altdorfer und Kupferstiche von Heinrich Aldegrever in den Kunstsammlungen im Museum des Kujawier und Dobriner Landes. Sehenswert sind auch Holzschnitte des bekannten deutschen Künstlers Albrecht Dürer.
Über Jahrhunderte waren für die Kaufleute aus Włocławek die Kontakte mit den Hansestädten, besonders mit Thorn und Danzig, sehr wichtig.
Im 19. Jahrhundert wurde Włocławek zur Industriestadt, weil hier mittlerweile viele berühmte Unternehmen gegründet worden waren. Hier entstand z.B. die erste Papier- und Zellulosefabrik auf polnischem Gebiet. Bekannteste Unternehmen des 19. Jahrhunderts waren die Zichorienfabrik, die Zellulosefabrik, 14 (!) Brauereien, eine Ziegelei, eine Fabrik für Agrarmaschinen, der Draht- und Seilproduzent Carl Klauke oder die Manufaktur für Fayencen, Porzellan und Keramik.
In dieser Zeit erblickten einige bekannte Persönlichkeiten in Włocławek das Licht der Welt. Dazu gehört auch Julian Balthasar Marchlewski (1866–1925), Politiker und Mitbegründer des Spartakusbundes in Deutschland..
Im Jahre 1920 ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Deutschland in Włocławek geboren worden, Marcel Reich-Ranicki. Der bekannte Publizist und Literaturkritiker wurde als drittes Kind des Fabrikbesitzers David Reich und dessen Frau Helene Auerbach in der Ulica Piekarska 4 (Baeckerstraße 4) geboren. Marcel Reich durfte als einziger seiner Geschwister die deutsche Schule in Włocławek besuchen. In Fachkreisen war er als „Literaturpapst“ bekannt und gilt als der einflussreichste deutschsprachige Literaturkritiker der Gegenwart.
In den Jahren 1939-45 war der offizielle Name der Stadt Leslau an der Weichsel. Die Stadt gehörte zum Reichsgau Wartheland im Deutschen Reich. Es wurde eine große Aktion „Heim ins Reich“ organisiert, in Leslau kamen in der Folge viele deutsche Aussiedler, hauptsächlich aus Bessarabien (Moldawien) und Riga (Latvia) an.
Heutzutage haben sich in Włocławek wieder viele deutsche Firmen und Handelsketten niedergelassen. Davon konnten wir uns während einer Stadtrundfahrt umfassend überzeugen.
12. Oktober – Tag der Polnischen Armee
Lange haben wir uns auf diesen Tag und den Besuch bei unseren polnischen Freunden vorbereitet. Für sie ist der 12. Oktober ein sehr bedeutsamer und wichtiger Tag – er steht für die Gründung der Polnischen Volksarmee. Am 12. und 13. Oktober 1943 erlebte die polnische 1. Infanterie-Division „Tadeusz Kosciuszko“ in den Kämpfen bei Lenino (Weißrussland) ihre Feuertaufe. An der Seite der 33. Armee der Sowjetunion fügten sie der 4. Armee der faschistischen Wehrmacht empfindliche Verluste zu und marschierte weiter in Richtung der polnischen Heimat. Der Kampfesweg der polnischen 1. Infanterie-Division bei der endgültigen Zerschlagung des deutschen Faschismus endete in den Maitagen des Jahres 1945 in Sandau an der Elbe.
Ein besonderer und erlebnisreicher Tag sollte dieser 12. Oktober 2015 für uns werden. Er begann mit der Besichtigung des Kulturzentrums der Stadt Wloclawek. Hier empfing uns die Direktorin, Lidia Piechocka-Witczak. Sie führte uns durch das ehrwürdige Gebäude, das in früheren Zeiten eine Brauerei beherbergte und in dem sich heute eine große Bibliothek, ein Konzertsaal und zahlreiche weitere Räume für kulturelle und künstlerische Projekte befinden. Viele dieser Projekte, die von den insgesamt 48 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreut werden, sind für Kinder und Jugendliche vorgesehen.
Von links nach rechts: Manfred Ramm, Lidia Piechocka-Witszak, Dieter Beutling, Michael Ahlendorf
Der Höhepunkt des Tages war für uns natürlich die Teilnahme am Zeremoniell anlässlich des 72. Jahrestages der Gründung der Polnischen Volksarmee am Pionierehrenmal in der Straße Zytniej. Die Anwesenheit der deutschen Delegation aus Havelberg wurde in den zahlreichen Reden immer wieder betont. Wir empfanden das als eine große Ehre. Besonders die Worte des Vize-Marschalls des Polnischen Sejm, Jerzy Wenderlich, riefen einen gewissen Stolz bei uns hervor, als er sinngemäß sagte, dass schon seit vielen Jahren Kontakte auf höchster Ebene bestehen (Deutscher Bundestag – Polnischer Sejm) und dass es an der Zeit ist, Kontakte auf der Ebene unserer Völker herzustellen und zu pflegen. Die deutschen und polnischen Pioniere hätten dazu einen ersten wichtigen Schritt vollzogen. Sehr beeindruckend war für uns die Rede eines 97-jährigen Weltkriegs-veteranen, der als Artillerist an den Kämpfen im Raum Lenino teilgenommen hat und dessen Weg 1945 mit der 1. Polnischen Armee bis nach Sandau führte.
Für uns war es eine Selbstverständlichkeit die im Zweiten Weltkrieg für die Befreiung vom deutschen Faschismus gefallenen Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere der Polnischen Volksarmee mit dem Niederlegen eines Blumengebindes zu ehren.
In der Mitte des Bildes der Vizi-Marschall des Polnischen Sejm, Jerzy Wenderlich
Links im Bild der 97-jährige Weltkriegsveteran der Polnischen Volksarmee
Etwa 150 Menschen nahmen an dem Zeremoniell am Ehrenmal
der Pioniere der Polnischen Volksarmee in Włocławek teil
Nach dem Niederlegen aller Blumengebinde – wir wurden an dritter Stelle hinter dem Vize-Marschall des Polnischen Sejm und dem Vertreter der Woiwodschaft Kujawien-Pommern nach vorn an das Ehrenmal gebeten – erwartete uns eine Ehrung, die wir mit Stolz entgegennahmen. Wir wurden namentlich aufgerufen und durften nochmal vor das Ehrenmal treten. Aus den Händen des Präsidenten erhielten wir die Ehrenmedaille der Pionierkameradschaft Włocławek.
Oberst a. D. Dr. Ryszard Chodynicki, Präsident der Pionierkameradschaft Wloclawek, überreicht die Ehrenmedaille an Oberstleutnant a. D. Manfred Ramm, Oberst a. D. Dieter Beutling und Oberst a. D. Michael Ahlendorf. Auch für die Pionierkameradschaft Havelberg als Gemeinschaft durften wir diese Auszeichnung entgegennehmen.
Das Zeremoniell am Ehrenmal der Pioniere der Polnischen Volksarmee gehört untrennbar zur Pflege der militärischen Traditionen und wird ungeachtet der Staatsform durch alle gesellschaftlichen Kräfte, aber insbesondere durch die ehemaligen und aktiven Armeeangehörigen gepflegt. Davon konnten wir uns an jenem 12. Oktober 2015 überzeugen. Es ist schon beeindruckend, welche Achtung und Anerkennung die polnische Bevölkerung ihren ehemaligen Soldaten auch heute noch erweist. Auch als nicht mehr aktive Soldaten der Polnischen Armee tragen sie mit Stolz und in Würde ihre Uniformen, Dienstgrade und Auszeichnungen, so wie es in Polen seit ewigen Zeiten Tradition ist.
Als weiterer Höhepunkt wartete auf uns ein Empfang beim Oberbürgermeister der Stadt Włocławek (polnisch: Prezydent Miasta Wloclawek). Dr. Marek Wojtkowski (47) zeigte sich sehr interessiert an den Schilderungen über den Grund unserer Anwesenheit in seiner Stadt und besonders als wir über unsere Heimatstadt Havelberg berichteten.
Dr. Marek Wojtkowski (2. von links) zeigt großes Interesse an den Informationen über Havelberg
Auch er begrüßte es sehr, dass der Kontakt zwischen den ehemaligen polnischen und deutschen Pionieren zustande gekommen ist. Wie wir seinen Worten entnehmen konnten, gibt es in Włocławek eine sehr aktive Ruderriege sowie einen Modellsportverein. Hier, so meinte er, bestehe doch die Möglichkeit die jetzt entstandenen Kontakte weiter auszubauen und dabei insbesondere Kinder und Jugendliche einzubeziehen, um auch für die nach uns folgende Generation die deutsch-polnische Freundschaft für beide Völker erlebbar zu gestalten. Dr. Wojtkowski bat uns, seine herzlichen Grüße an den Bürgermeister und die Menschen in der Stadt Havelberg zu übermitteln. Dieser Bitte kommen wir gerne nach. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass sowohl beim Empfang im Rathaus, als auch anlässlich des Zeremoniells am Ehrenmal neben der polnischen auch die deutsche Fahne ihren Platz hatte.
Der Nachmittag und der Abend verliefen in einer vom Geist der Freundschaft geprägten Atmosphäre. Unsere polnischen Freunde zeigten, dass sie wirklich hervorragende Gastgeber sind. Viele Trinksprüche auf die Freundschaft und auf jeden einzelnen von uns machten die Runde, immer begleitet vom polnischen Lied „Stolat, stolat …“ (was soviel wie Gesundheit und langes Leben bedeutet).
Am folgenden Tag hieß es von unseren Freunden in Włocławek Abschied nehmen. Aber eine Überraschung gab es noch für uns. Ein kurzer Abstecher zum neu errichteten Sportforum mit seinen zahlreichen Sporthallen und dem Stadion (23.000 Plätze) war einfach ein Muss. Es ist schon sehenswert, was die Stadt hier für ihre Bewohner geschaffen hat.
Ein Gruppenfoto auf dem Gelände des Sportforums in Wloclawek
Noch war die Stadtrundfahrt an diesem Tage nicht beendet. Die zweite Station war ein Besuch im neuen Kur-Zentrum „Wieniec-Zdroj“, das etwa drei Kilometer außerhalb der Stadt liegt. Ein „Kur- und Wellness-Tempel“ für Gesundheit und Luxus im wahrsten Sinne des Wortes. Die Innenräume des Komplexes verkörpern eine stilvolle Eleganz und sind mit größter Sorgfalt für jedes Detail fertig gestellt worden.
In einem der komfortablen Zimmer: 2. von links der Inhaber und Direktor des Kur-Zentrums
Wir waren zu Gast bei Freunden. Es waren erlebnisreichen Stunden, die wir so schnell nicht vergessen werden. Und wir – unsere polnischen Freunde und wir – haben den festen Willen diesen Kontakt auch für die Zukunft zu pflegen und weiter auszubauen. Ein Besuch einer Delegation der Pionierkameradschaft aus Włocławek ist beschlossene Sache – wir sehen uns am 1. März 2016, dem 60. Gründungstag der Nationalen Volksarmee, hier in Havelberg wieder.
Manfred Ramm
Vorsitzender der Pionierkameradschaft Havelberg