Erinnerung und ehrendes Gedenken
Unser Verband sieht die historischen Wurzeln der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR, wie in unserer Satzung fest verankert, in den Kämpfen und Wirken der Ideen und Bewegungen, sowie Gruppen und Persönlichkeiten, die für Fortschritt, Demokratie, Humanismus und die Erneuerung der gesellschaftlichen Ordnung eingetreten sind.
Schon seit meiner Kindheit und Jugend bewegt mich die Geschichte meiner Familie. Angeregt durch die Erzählungen meiner Eltern und Großeltern, aber auch durch die umfangreiche Thematik des Geschichtsunterrichtes in der Schule, habe ich mich natürlich zunächst aus persönlichen Gründen mit den Lebensläufen meiner Verwandten, hier insbesondere mit dem meines Großvater und meines Ur-Großvater beschäftigt.
Mit großem Stolz habe ich hier von der Lebensleistung und dem Lebensmut meines Urgroßvaters Walter Götzinger gehört und gelesen.
Verständlicherweise habe ich damals diese Kenntnisse vorrangig mit der Emotion eines Kindes und einer Jugendlichen betrachtet, getragen von der Liebe und Zuneigung gegenüber meinen Familienangehörigen.
Mit zunehmenden Alter, der Lebenserfahrung und meiner weiteren politischen Entwicklung, habe ich diese Familientraditionen immer stärker in den historischen Konsens, insbesondere der Entwicklung der DDR einbezogen.
Bezugnehmend auf den § 2 „Selbstverständnis und Grundsätze“ unserer Satzung, bin ich der Überzeugung, dass diese historischen Wurzeln nicht nur durch das Wirken und Schaffen historischer Persönlichkeiten und Gruppen geschaffen wurden, sondern das hier das Leben und Wirken von einfachen Menschen eine Rolle bei der Umsetzung von Ideen und Zukunftsvisionen, eine, wenn auch bescheidene Würdigung verdient.
Durch meine Mitgliedschaft in unserem Verband angeregt, habe ich die Lebensleistungen meines Urgroßvaters Walter Götzinger und meines Großvater Horst Götzinger unter diesen Aspekten eingeordnet und beurteilt.
Ich betone hier unmissverständlich, dass mich dabei keinerlei Wichtigtuerei zu der Bedeutung meiner Familie bewogen hat, diesen Beitrag zu verfassen.
Es geht mir dabei ausschließlich um die Ehrung und Erinnerung an meine Familienangehörigen und deren Einbindung in die von uns gepflegten und weitgefächerten Traditionen.
Wenn ich das Leben und Schaffen meiner Vorfahren, insbesondere das meines Urgroßvaters im Folgenden beschreibe, dann erfüllt mich schon berechtigter Stolz und Dankbarkeit.
In den Nachlässen meines Urgroßvaters und insbesondere dem meines Großvaters, sind umfangreiche Dokumente und Bildmaterial vorhanden, auf deren Grundlage ich deutlich und intensiv.
Ihr Leben und Wirken nachvollziehen konnte.
Wegen der Umfänglichkeit der Dokumentationen zu ihren Lebensläufen, werde ich deshalb in diesem Beitrag ausschließlich zu meinen Urgroßvater berichten.
Mein Urgroßvater Walter Götzinger wurde am 17.07.1907 in Berlin geboren.
Als Kind erlebt er die Schrecken des 1. Weltkrieges, die Novemberrevolution und die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Geprägt durch die schweren Jahre der Not und Entbehrung und die politischen Ereignisse, wurde er bereits 1923 mit 16 Jahren Mitglied der KPD, wurde deshalb aus seiner Arbeitsstelle entlassen, konnte aber durch Hilfe eines Freundes Arbeit finden.
Im Jahre 1924 trat Walter Götzinger dem neu gegründeten Rote-Frontkämpfer-Bund (RFB) in Berlin-Köpenick bei.
Hier wurde der Genosse Ernst Thälmann das Vorbild für Walter. Als Mitglied der 16.Abteilung des RFB hatte er die Aufgabe, während einer großen Veranstaltung in Berlin für die Sicherheit Ernst Thälmanns zusorgen. Walter beteiligte sich aktiv an der Protestbewegung gegen die Repressalien der Polizei und faschistischer Gruppen.
Am 21.03.1933 wurde er durch die SA verhaftet und in das Konzentrationslager Oranienburg überführt.
Wegen einer schweren Krankheit wurde er zunächst in einen Stützpunkt der SA nach Fichtenau verlegt und nach seiner Genesung entlassen, jedoch unter ständige Polizeiaufsicht gestellt.
Wegen seiner politischen Haltung wurde er daraufhin für „wehrunwürdig“ erklärt.
Im Besitz eines Rundfunkempfängers, hörte er englische und sowjetische Sender in deutscher Sprache ab und konnte so seine Freunde und Bekannten über politische Ereignisse in der Welt und gegen die Lügen und Unwahrheiten der Nazipropaganda informieren.
Im Januar 1944 wurde Walter Götzinger für wehrfähig erklärt und kam nach dreiwöchiger Ausbildung an die Front nach Italien.
Zu seinem ersten Fronteinsatz verweigerte Walter den Gehorsam und lief auf die richtige Seite der Front über, geriet dabei in englische Kriegsgefangenschaft und wurde dann mit anderen Gefangenen nach Ägypten in ein Gefangenlager verbracht. In diesem Lager wurden sie menschenunwürdig behandelt.
Im Kriegsgefangenenlager 279, in der Abteilung der Antifaschisten, fand er Kontakt zu ehemaligen Angehörigen des Strafbataillons 999 und arbeitete mit diesen Genossen auch in dieser Zeit politisch in Schulungs- und Aufklärungsabenden, wo er persönlich als Referent tätig war. Diese Gruppe konnte durch Kontakte mit britischen Wachsoldaten Verbindungen zur Labour-Partei und weiter auch zu Genossen in Deutschland herstellen.
Deshalb wurden sie auch zu wichtigen Ereignissen in der Heimat informiert.
Nach dem 15. Parteitag der KPD und dem 40. Parteitag der SPD am 19. und 20. April 1946 fanden sich dann die Delegierten beider Parteien zum Gründungsparteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zusammen. Damit waren die Hoffnungen und Sehnsüchte der deutschen Arbeiterbewegung, allerdings nur in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, erfüllt. In den Westzonen wurde durch die Schumacher - Gruppe der SPD und die imperialistischen Besatzungsmächte eine Vereinigung verhindert.
In einem Grundsatzreferat zur politischen Entwicklung von 1923 bis 1946 schildert Walter auf einer Parteiversammlung vom 26.04.1976, wie die Gefangenen dieses Ereignis aufgenommen haben.
„Ich befand mich in britischer Gefangenschaft in einem Antifa-Lager in Ägypten. Die Kunde von der Vereinigung erfüllte uns mit großer Begeisterung, Kommunisten und Sozialdemokraten fielen sich in die Arme. Endlich war der Zwiespalt beendet und die Voraussetzungen für friedliches und demokratisches Deutschland, vorerst nur in einem Teil, geschaffen“.
Die Gefangenen wurden dann über Sizilien in die britische Besatzungszone gebracht, dort wegen ihrer politischen Haltung im Munster-Lager festgehalten und am 11.02.1947 in die sowjetische Besatzungszone entlassen.
Für Walter Götzinger begann nunmehr die wichtigste Zeit seines Lebens, da er sich sofort und mit großer Begeisterung am Wiederaufbau seiner Heimat und deren demokratischer Umgestaltung aktiv beteiligte.
Nach der Kriegsgefangenschaft 1947 heimgekehrt, trat Walter Götzinger sofort in die SED ein, arbeitete zunächst als Baukaufmann beim Magistrat von Groß – Berlin, dann von 1950 bis 1960 als Werkleiter in verschiedenen Betrieben der Bauindustrie. Im Jahre 1949 nahm Walter an 9. Tagung des Volksrates, auf der die Gründungsurkunde der DDR durch Wilhelm Pieck verlesen wurde und Otto Grotewohl mit Bildung der Regierung beauftragt wurde, teil.
In dieser Zeit arbeitete er auch in der deutschen Wirtschaftskommission.
Walter Götzinger übernahm verantwortungsvolle Leitungsfunktionen in der Zementindustrie in Eisenhüttenstadt. Nach dem konterrevolutionären Putsch am 17. Juni 1953 wurde er Mitglied der Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Bis 1965 aktiv nahm er an der Ausbildung teil, wurde dann wegen seines Alters und seiner Erfahrung als Berater der Kampfgruppen eingesetzt, unterstützte die Traditionsforschung der Kampfgruppen und die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft „Junge Historiker“ des Pionierhauses „Konstantin Sasdelonow“ in Eisenhüttenstadt.
Lange Jahre war Walter als Arbeiterveteran in der Volkspolizei-Bereitschaft „John Scheer“ aktiv.
In den Gesprächen mit den jungen Genossen stand immer die Traditionspflege im Mittelpunkt.
Insbesondere seine Erfahrungen im proletarischen Klassenkampf, als Mitglied der KPD, des Roten-Frontkämpferbundes, der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und das Einfühlungsvermögen eines einfachen, bescheidenen Menschen kam bei den jungen Menschen gut an und gab ihnen Motive und Kraft.
Hohe Anerkennung seines Wirkens, wird in dem Grußschreiben der Kommandeure der Polizeieinheit zu seinem 80. Geburtstag am 17. Juli 1987 in bewegenden Worten zum Ausdruck gebracht.
Seine gesellschaftspolitische Arbeit und sein Engagement in der Volkswirtschaft, wurden durch zahlreiche Orden und Auszeichnungen gewürdigt. Er wurde vierfacher „Aktivist der sozialistischen Arbeit“.
Im 1973 wurde ihm der „Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland“ und am 07.10.1982 der „Vaterländischen Verdienstorden in Silber“ verliehen. Für seine Tätigkeit bei den Kampfgruppen wurde Walter Götzinger mit den Verdienstmedaillen in Bronze, Silber und Gold geehrt.
Am 25.Februar 1989 verstarb Genosse Walter Götzinger.
Die berührenden Worte des Gedenkens in den Nachrufen seiner ehemaligen Kollegen der Betriebe seines Arbeitslebens, den Genossen der Kampfgruppen-Hundertschaft, der Pateneinheit der Deutschen Volkspolizei und nicht zuletzt die Teilnahme an der Trauerfeier, sind beredter Ausdruck der hohen Anerkennung von Walter Götzinger.
Mein Urgroßvater hat neben seines bemerkenswerten politischen und gesellschaftlichen Wirkens auch das Leben unserer Familie und unsere politische und weltanschauliche Entwicklung wesentlich geformt und beeinflusst.
Mein Großvater Horst Götzinger hat in fester Tradition zu den Idealen seines Vaters gestanden und unserer DDR viele Jahre treu als Angehöriger der Seestreitkräfte/Volksmarine gedient.
Für mich waren mein Urgroßvater und mein Großvater stets leuchtendes Vorbild. Ihr Lebenswerk und ihre Festigkeit in ihren politischen Überzeugungen, haben meine politische Haltung geprägt und meinen bisherigen und künftigen Lebensweg maßgeblich beeinflusst.
Auch mein Beitritt zum Verband war logische Konsequenz dieser Überzeugungen.
Abschließend seien mir noch einige Schlussgedanken gestattet.
Traditionen sind das Gedenken und die Erinnerungen an die großen Ereignisse der Vergangenheit, eingebunden in die persönlichen Erlebnisse, Erinnerungen und Vermächtnisse der Familie, der Freunde und Bekannten und die angemessene Würdigung deren Beitrag für diese Entwicklung.
Ich hoffe, dass ich mit meinem bescheidenen Betrag andere Mitglieder unseres Verbandes angeregt habe, ihre Familientraditionen auch unter diesen Gesichtspunkten einzuordnen und sie gegebenenfalls schriftlich festzuhalten.
Bewahren wir diese ganz persönlichen Gedanken als Erinnerungen in uns auf und wir werden sie dann emotional und tief verwurzelt in das politische und auch militärische Zeitgeschehen einordnen.
Diese Traditionen und ihre historische Bedeutsamkeit werden dann immer lebendig und gegenwärtig sein.
Mit kameradschaftlichen Grüßen
Katrin Meier
Mitglied der Regionalgruppe Rostock
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Genosse Walter Götzinger |
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Apell der Kampfgruppe |
Gedankenaustausch mit Freunden |
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Walter Götzinger bei seiner Pateneinheit |
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Die Kampf- und Weggefährten begleiten Walter Götzinger zu seiner letzten Ruhestätte |