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- Die Armeesportvereinigung Vorwärts (ASV) der NVA der DDR
Generalmajor a.D. Heinz-Günther Wittek
Die ASV wurde am 01. Oktober 1956 gegründet. Ihr Auftrag war, zum physischen und psychischen Leistungsvermögen der Angehörigen der NVA und der Grenztruppen der DDR und der Zivilbeschäftigten beizutragen. Für den zuverlässigen Schutz der Staatsgrenze an der Nahtstelle des Warschauer Vertrages und der Nato waren Kämpfer erforderlich, die Waffen und Geräte perfekt beherrschen und die physisch und psychisch gut und allseitig vorbereitet sind, waren Führungsorgane erforderlich, die die sportlichen Aktivitäten richtig leiten und sicherstellen.
Zu früheren Zeiten gab es schon Bemühungen, vor allem in den kasernierten Einheiten der Volkspolizei, Sportstrukturen zu schaffen. So wurde bereits am 20.11.1950 eine Sportvereinigung „ Vorwärts“ in der damaligen Hauptverwaltung für Ausbildung gegründet. Sie förderte den Massen- und Leistungssport der Bereitschaftspolizisten. Der 1956 beginnende Aufbau der NVA machte dann eine Neuorganisation einer Sportvereinigung in diesem Interesse erforderlich. In der Anfangsphase der Entwicklung wurde der gesamte Armeesport – Militärische Körperertüchtigung (MKE), Massen- und Leistungssport – unter einer einheitlichen militärischen Führung organisiert und durchgeführt. Damit war natürlich der gesellschaftliche Charakter der ASV erheblich eingeschränkt. Anfang der siebziger Jahre wurde demzufolge eine Umstrukturierung vorgenommen. Die MKE als Teil der militärischen Ausbildung wurde dem Hauptinspekteur der NVA und der gesellschaftlich organisierte Massen- und Leistungssport den Politorganen der NVA zugeordnet. Dafür gab es zwei wesentliche Gründe:
1. Die Politorgane verfügten bereits über umfangreiche Erfahrungen bei der Anleitung gesellschaftlicher Organisationen, die nun auch der ASV zu gute kommen sollten.
2. Ein Großteil der jungen neu einberufenen Armeeangehörigen verfügte über vielfältige Erfahrungen massensportlicher Betätigung aus ihren Sportorganisationen. Sie galt es zu nutzen.
Die Sportkonferenz wurde das höchste leitende und beschließende Organ der Militärsportorganisation. In ihr waren die Sportorganisationen der Landstreitkräfte, der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung, der Volksmarine, der Grenztruppen der DDR, des Ministeriums, die Armeesportklubs (ASK) und die zentral geführten Armeesportgemeinschaften vertreten. Diese Konferenz – die zunächst aller sechs Jahre stattfinden sollte, aber real gesehen, eine demokratische Kulisse bildete – wählte das ehrenamtliche Präsidium. Vorsitzender wurde ab 1972 stets der Chef der Politischen Hauptverwaltung ( PHV ) der NVA. Die tatsächliche Leitung erfolgte jedoch durch das Komitee der ASV.
Vieles vollzog sich nicht konfliktlos. Ein Teil der neu gewählten bzw. eingesetzten ASV-Funktionäre war mit dem demokratischen Reglement einer gesellschaftlichen Organisation noch nicht vertraut und wollte lieber mit Kommando und Befehl den Sport organisieren. Langsam setzte sich der „demokratische Zentralismus“ durch. Die Leitungsorgane der ASV, vom Präsidium bis zu den untersten Ebene, den Sportgruppen und Sektionen, wurden gewählt. Das entsprach den damaligen Ansichten über eine gesellschaftliche Organisation, entsprach den Forderungen des Statuts des DTSB der DDR und den Belangen der NVA.
Die wesentlichen Strukturen der ASV wurden den Struktureinheiten der NVA angeglichen. Ihre wichtigsten Basisorganisationen waren die Sportgruppen ( 4400 ), Sektionen ( 1075 ), Armeesportgemeinschaften (571) und Trainingszentren für den sportlichen Nachwuchs (131). Überregional existierten fünf Sportorganisationen, jeweils in den drei Teilstreitkräften und im Ministerium für Nationale Verteidigung, sowie eine Reihe von Armeesportgemeinschaften (ASG) für die direkt unterstellten Strukturbereiche. Die laufenden Arbeiten führte ein Komitee der ASV, das einem Bezirksvorstand des DTSB gleichgestellt war, aus.
Im Leistungssport der ASV wurden 21 Sportarten in fünf Armeesportklubs gefördert, die dem Komitee der ASV Vorwärts direkt unterstellt waren.
In der Truppe war der Gesamtverlauf des Jahres mit Sportereignissen geprägt: Turniere in vielen Sportarten, Fernwettkämpfe, Ausscheide innerhalb und zwischen den Teilstreitkräften usw. Die Mehrheit der Armeeangehörigen war an diesen Wettkämpfen interessiert, was vor allem durch vielseitiges individuelles und Gruppentraining bekräftigt wurde. Das sportliche Leben hörte natürlich nicht an den Kasernentoren auf. Die personellen und materiellen Bedingungen ermöglichten es, viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus dem zivilen Bereich in ein regelmäßiges Training, zu Wettkämpfen und zum Spielbetrieb einzubeziehen.
Als Armeeangehöriger war man obligatorisch Mitglied der ASV. Da die „Werbung“ oftmals mit sanftem Druck erfolgte und wir immer eine hundertprozentige Mitgliedschaft anstrebten, wurde auch hierbei der gesellschaftliche Charakter eingeschränkt. Ebenso haben wir uns mit Schönfärberei und formalen Zügen bei der Erfassung und Bewertung von sportlichen Ereignissen auseinandergesetzt. In nicht wenigen Einschätzungen über Sportergebnisse haben wir die umfassende sportlich Betätigung in den Streitkräften auch als ein Zuwachs an sozialistischem Bewusstsein gewertet. Das war eine Wunschvorstellung. In den Sportkollektiven dominierten vor allem Tataspekte und nicht die Worterziehung. Anders verhielt es sich bei Siegleistungen im Leistungssport. Das löste Stolz und Freude über die wachsende Internationale Anerkennung der DDR aus. Unvergesslich bleiben solche Leistungen z.B. von Udo Beier mit seinem Weltrekord im Kugelstoßen, Gerhard Grimmer mit 50 km Skilanglauf, Frank Ullrich im Biathlon, Uwe Höhn im Speerwerfen, Manfred Wolke im Boxen, Uwe Potteck im Sportschießen, Birgit Fischer im Kanu-Rennsport, Wolfgang Hoppe im Bobsport und viele andere mehr (s. statistischer Anhang). Einige Fußballer des FC Vorwärts wie Spickenagel, Fräßdorf, Wirth, Nöldner waren DDR-weit als hervorragende Sportlerpersönlichkeiten bekannt. Sie und viele andere erfolgreiche Sportler der ASV haben im wahrsten Sinne des Wortes Sportgeschichte geschrieben und bei großen Teilen der DDR-Bevölkerung freudige Wertschätzung gegenüber dem DDR-Sportsystem ausgelöst. Ebenso wurde mit diesen Leistungen wesentlich dazu beigetragen, die internationale Anerkennung der DDR zu fördern. Dennoch musste auch so mancher Sportler erfahren, dass erst die Goldmedaille zählte und gesellschaftliche Achtung auslöste.
Zu den beliebtesten Wettbewerben im Massensport gehörte der Fernwettkampf „Stärkster Mann der NVA“. Der Disziplinkatalog wurde überall mit Begeisterung aufgenommen und umfasste alle Altersgruppen und Dienstgrade.
Mit Begeisterung wurden auch die jährlichen Umfragen nach dem Armeesportler des Jahres aufgenommen. Zur Förderung des Leistungssportes der ASV organisierte die Zeitung „Volksarmee“ ab 1958 eine Leserumfrage für den Titel „Armeesportler des Jahres“. Erreichte die Umfragebeteiligung in den ersten Jahren etwa 50000, so stieg sie bereits in den 60er Jahren auf 150000. Hierbei dominierten wiederum die erfolgreichen Athleten aller Armeesportklubs. Erster Titelträger des Jahres 1958 war der Hindernisläufer Herman Buhl, letzte des Jahres 1989, Rennrodlerin Susi Erdmann. In der Liste der Titelträger befinden sich fast alle in der ASV betriebenen Sportarten, wie Langlauf, Zehnkampf, Gehen, Kugelstoßen, Speerwurf, Schwimmen, Skispringen, Skilanglauf, Biathlon, Bob, Rennschlitten, Kanu, Fußball, Boxen, und Radsport. „DDR-Sportler des Jahres“ wurde 1984 Uwe Höhn auf Grund eines Speerwurfes über 100 Meter, ein Weltrekord, der nicht wiederholbar ist, da der Wettkampfspeer verändert wurde.
Am12.03.1958 wurde in Moskau das „Sportkomitee der befreundeten Armeen“ (SKDA), der Armeen der Warschauer Vertragsstaaten ins Leben gerufen. Später gehörten auch Militärsportorganisationen anderer Staaten dem SKDA an. So nahmen an der Tagung des SKDA im Mai 1978, in Berlin, 20 Delegationen teil. Die ASV gehörte von Anfang an zu den Initiatoren der internationalen Wettkämpfe. Bereits im April 1957 fand vor der Gründung des SKDA in Berlin, Leipzig und Erfurt ein Internationales Armeesportfest mit Armeesportlern aus Bulgarien, Polen, Rumänien, der CSSR und der UdSSR statt. Im September 1958 folgte dann in Leipzig und 18 weiteren Städten die I. Sommerspartakiade in 12 Sportarten. Die höchste Teilnehmerzahl wurde während der 1977 in Cuba stattfindenden Sommerspartakiade erreicht, an der Militärsportorganisationen aus 19 Armeen teilnahmen, darunter Mexiko, Äthiopien und Mozambique.
Die ASV zählte zu den aktivsten Mitgliedern des SKDA. Sie beteiligte sich an allen ausgeschriebenen Wettkämpfen und Spartakiaden, organisierte zahlreiche Konferenzen und Erfahrungsaustausche zur Sportpolitik, zur materiellen Sicherstellung und Planung internationaler Wettkämpfe.
Armeesportler erzielten bei allen SKDA -Wettkämpfen und vor allem bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften zahlreiche Erfolge für die DDR. (s. Anhang)
Unzählige Sportwettkämpfe umfasste der Jahresplan: Kinder- und Jugendspartakiaden, DDR- und internationale Meisterschaften. Besonders die Olympischen Spiele, Welt- und Europameisterschaften, aber auch die SKDA- Vergleiche waren nicht nur Höhepunkte für die Sportler sondern auch für die Offiziellen und Organisatoren. Die dabei entstandenen Freundschaftsbeziehungen halten zumeist sehr lange im Leben.
Die tägliche Trainingsbelastung der Leistungssportler war enorm. Die körperliche „Schinderei“ ist wohl mit keinem anderen Tätigkeitsbereich vergleichbar. Manchmal haben wir uns schon gefragt, geht da nicht ein „Stück“ Jugend verloren? Aber Bewährungssituationen während der Wettkämpfe, die ständige fürsorgliche Betreuung durch Leitungskräfte, die klare berufliche Perspektive und die vielseitige Anerkennung erzeugten eine hohe Bereitschaft, den Belastungsumfang permanent zu steigern.
Für sportpolitische Informationen gab es in der NVA ein großes Interesse. Beide Gesellschaftssysteme, OST und West, nutzten die Siegleistungen der Athleten, um Überlegenheit des jeweiligen Systems nachzuweisen. Je leistungsstärker DDR- Sportler auftraten, umso mehr mussten wir uns den böswilligen und aggressiven Handlungen und Demütigungen westlicher Organe und Medien erwehren.
Als Chef des Komitees der ASV Vorwärts und später noch als Vorsitzender der Armeesportvereinigung war ich über die Wendezeit hinaus, bis Januar 1991, tätig. Im Juni 1990 führten wir die letzte ASV- Sportkonferenz durch, Da versuchten wir noch mit neuen Strukturen, kostengünstiger Wettkampfgestaltung und mit Vorschlägen an die neue militärische Führung in Strausberg und Bonn, um die Lebens- und Arbeitsfähigkeit der ASV zu erhalten. Mit mancherlei Hinhaltetaktik und mit Entscheidungen hinter den „Kulissen“ wurde die ASV demontiert und war ihr Fortbestand nicht mehr möglich. Am 31. Januar 1991 haben wir in einer Tagung des Zentralvorstandes der ASV (Nachfolgebezeichnung des Präsidiums) die zentralen Funktionen der ASV aufgelöst und die Armeesportgemeinschaften (ASG) in den noch vorhandenen NVA- Standorten gebeten, den Sportbetrieb weiter zu führen, die noch ausreichende materielle Basis, Sportgeräte und Bekleidung, so lange wie möglich, zu nutzen. Es ging auch darum, die vielen Kinder und Jugendlichen und zivilen Erwachsenen, die fest im Trainings- und Wettkampfsystem integriert waren, nicht dem Selbstlauf zu überlassen. Leider war auch das nur für kurze Zeit möglich.
Die neuen Dienstherren überließen uns dem „freien Fall“. Nur wenige Sportfunktionäre der NVA wurden noch gebraucht, wurden in ihren Dienstgraden herabgesetzt und willkürlich in anderen Standorten eingesetzt.
Zahlreiche hoch qualifizierte Trainer fanden unter bundesdeutschen Bedingungen keine Anstellung und versuchten ihr Glück im Ausland. Dort wurden sie mit offenen Armen aufgenommen. So u.a. Jochen Danneberg (Skispringen) in Südkorea und USA, oder Klaus Bonsack (Rennschlitten) in Österreich, oder Meinert Nehmer (Bob) in USA und Italien. Insgesamt haben 80 DDR-Trainer im Ausland ihr erfolgreiches Glück versucht und zumeist hohe Anerkennung erworben.
In meinen letzten Dienstwochen konnte ich noch einigen Angehörigen freie Dienstzeit gewähren, damit sie sich auf dem neuen „feien Markt“, eine Beschäftigung suchen können.
Die ASK’s mit einem hoch qualifizierten Sportler- und Trainerbestand wurden ordentlich „abgespeckt“, als reduzierte Sporteinrichtungen der Bundeswehr bzw. als Bestandteile von Olympiatrainingsstätten übernommen. Einige Strukturelemente der Klubs erhielten noch bis zu den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona eine „Perspektive“. Danach wurden viele Angehörige der Klubs entlassen. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Um ihre berufliche Perspektive kümmerte sich nun niemand mehr.
Noch etliche Jahre wirkte unser dreistufiges Fördersystem (Trainingszentren, Kinder- und Jugendsportschulen, Armeesportklubs) in Gesamtdeutschland nach. Der gute Trainingszustand vieler NVA- Sportler verhalf den bundesdeutschen Sportverbänden - ohne eigene Talententwicklung - zu einem bis dahin nicht gekannten Medaillensegen.
Dabei bin ich ganz sicher, das was wir hatten ist unwiederholbar. Die sozialistische Gesellschaft hatte eine Mobilisierungskraft, die eine unübersehbare Schar von Lehrern, Kindergärtnerinnen, Betriebsleitern, Gewerkschafts- und FDJ-Funktionären, Pionierleitern, Armeeangehörigen, Volkspolizisten, Wissenschaftlern, Ärzten, Journalisten auf das Ziel, Sport für Alle, vereinen konnte. Sie waren mit den unermüdlichen Übungsleitern, Kampf- und Schiedsrichtern, den Platzwarten die Initiatoren und Organisatoren des Sports. Oft wird vergessen, dass 100te von Armeeangehörigen als Übungsleitern in den Standorten der Armee, in Schulen und Betrieben tätig waren und anerkannten Sportbetrieb organisierten. Das war ein Grund, warum viele Kommunen gerade unseren Genossen der ASV und Dynamo ABM-Stellen zur Verfügung stellten. Ihre Leistung wird für immer mit großen Buchstaben in den Geschichtsbüchern der DDR stehen.