Besuch bei Freunden

Es ist wie so oft im Leben. Zufällig findet mein Freund Michael im Internet Kontakt zu Alex. Alex lebt in Litauen und hat 1978-1981 in der U-Jagd-Abteilung gedient, die in Sassnitz stationiert war. Durch ihn habe ich über die russische Internetseite „Odnoklassniki (Klassenkameraden)“ einen weiteren Ve-teranen der ehemaligen 24. selbständigen Raketenschnellbootsbrigade aus Swinoujscie getroffen, Michael Pyresin. Er war funktechnischer Offizier im Brigadestab. Viele ehemalige Angehörige dieser Brigade sind Mitglieder des Vereines „Kaliningrad-Swinoujscie“. Vorsitzender dieses Vereines ist Kapitän zur See a.D. Raschewski, letzter Stabschef der 24. Brigade. Der Verein wiederum ist Mitglied in der „Vereinigung der Veteranen der baltischen Flotte und des vaterländischen Krieges“. Dessen Vorsitzender, Kapitän zur See a.D. Nischegorodzew, ist Berater des Chefs der Baltischen Flotte für Veteranenangelegenheiten.

   2013 haben wir uns zum ersten Mal persönlich in Ahlbeck getroffen. Dort erfolgt alljährlich eine Kranzniederlegung am Grabstein für die Gefallenen des Krieges. Die Gruppe ist oft auf Reisen und besucht ihre ehemaligen Wirkungsstätten. 2014 konnten wir (Egbert Lemcke und ich) mit ihnen zusammen ihre ehemalige Schule in Swinoujscie besuchen. 2015 erfolgte der Gegenbesuch auf Rügen nach Dranske und Sassnitz. Und immer wieder wurde eine Einladung an uns nach Kaliningrad ausgesprochen. Dazu entschlossen wir uns dann 2016. In meiner Marinekameradschaft erzählte ich von unserem Vorhaben, und prompt meldeten sich noch 2 Kameraden, die uns begleiten wollten. Ein fünfter kam noch dazu, Reiner. Er war Steuermann im Marinehubschraubergeschwader der VM.

   Die entsprechenden Einladungen wurden erstellt, Visa beantragt und so fuhren wir am 28. Juli mit 2 PKW nach Kaliningrad.
Wir wussten da noch nicht, was uns erwarten würde. In Auswertung unserer Reise hat Egbert einen Bericht erarbeitet.

   “Der letzte Sonntag im Juli ist der Tag der Russischen Seekriegsflotte, - Feiertag für alle Veteranen und aktiven Militärs der Flotte und ein Volksfest der maritimen Seele Russlands. Dies war der Anlass für die Einladung unserer kleinen Delegation, bestehend zumeist aus Mitgliedern der MK Bug 1992 e.V., durch den Veteranenverband der Baltischen Flotte. Den Hintergrund dafür bildet unsere nun schon traditionelle Beziehung zur regionalen Organisation „Kaliningrad-Świnoujście“, welche wiederum aus der Traditionslinie der sowjetischen Marinebasis in dieser polnischen Hafenstadt hervorging. Unser sehr persönlicher russisch-polnisch-deutscher Traditions- und Erlebnishintergrund umfasst einen Zeitraum seit den späten 70er Jahren.

   Auf einen üblich herzlichen russischen Empfang waren wir also eingestellt und wurden dennoch überrascht. Noch am späten Abend unserer Ankunft im Hotel „Baltika“ in Kaliningrad besuchte uns der Vorsitzende der Organisation „Kaliningrad-Świnoujście“ Wladimir Raschewskij und offerierte einen straffen Ablaufplan, ganz so, wie ich ihn aus Anlass solcher Festlichkeiten in meinem vorherigen Leben mehrmals selbst erstellt hatte. – Nun wurde klar, dies ist kein einfacher touristischer Besuch, sondern hier wird ein Fest mit Freunden – mit ehemaligen Offizieren der Volksmarine - zelebriert.

   Hier einige Impressionen und Schlaglichter zu den Höhepunkten:
Der 29. Juli begann mit einem Festakt mit Orchester, Ansprache und Vorbeimarsch einer Ehren-formation von Marineinfanteristen am Ehrenmal der Schnellbootfahrer im Zentrum von Kaliningrad. Als Bestandteil des Veteranenblocks legte unsere Delegation ebenfalls Blumen nieder. Es folgte der immer improvisierte und gleichwohl obligatorische Umtrunk an Ort und Stelle mit herzlichen Gesprächen mit Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, sowie aktiven und ehemaligen Flottenoffizieren. Wie sich zeigte, war der verantwortlich Durchführende ein Absolvent derselben Militärakademie wie ich. Wir waren also unter uns und spürten dies bei jedem Gespräch.
Der Nachmittag sah uns mit einer persönlichen offiziellen Einladung in der Hand im Museum „Welt-ozean“. Geladen hatte die Generaldirektorin des Museums Swetlana Georgiewna Siwkowa zur feierlichen Eröffnungszeremonie einer Sonderausstellung unter dem Titel Помни войну“ (etwa: „Erinnere dich an den Krieg“) zu den Handlungen der Russischen imperatorischen Flotte vor 200 Jahren. Als geladene Gäste wurden wir obligatorisch beschenkt, konnten uns aber zu unserer Ehrenrettung mit eigenen Dankesworten und Geschenken revanchieren. Zwar ist mir Frau Siwkowa aus russischen Medien – namentlich als Institution in maritim-historischen Kreisen - gut bekannt, nun aber bestand die Gelegenheit, ihr von unseren musealen Aktivitäten im Lande und speziell in Peenemünde zu berichten. Einer künftigen Zusammenarbeit im Sinne unserer gemeinsamen maritimen Geschichte steht aus ihrer Sicht nichts im Wege.

   Der ausführliche Museumsbesuch folgte dann am nächsten Tage mit einer exklusiven Führung durch den Stellvertreter von Frau Siwkowa. Auch dieser erwies sich, welch Wunder, als Absolvent derselben Moskauer Militärakademie wie ich. Wiederum ein Heimspiel mit dennoch vielen Unbekannten. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, in dieser so sehr von deutscher Geschichte geprägten und maß-geblich von angelsächsischen Bombern im Sommer 1944 zerstörten Stadt Königsberg auf die Geschichte der russischen Meeresforschung und Marine zu schauen. Und für mich war erstaunlich, mit welcher Hochachtung inzwischen gerade auf die tiefen historischen Beziehungen zu Deutschland Bezug genommen wird.

   Unter der Bezeichnung „wissenschaftlich-praktische Konferenz“ verbarg sich eine extra für uns einberufene Veranstaltung der Veteranenorganisation zu unserer gemeinsamen Geschichte. Holger Neidel und Michail Pyresin wurden für ihre „Verdienste um die Verewigung des Andenkens an die gefallenen Verteidiger des Vaterlandes“ geehrt. Die Ehrung erfolgte im Auftrag von Verteidigungs-minister Schoigu und wurde ausgesprochen vom Vorsitzenden der Veteranenorganisation Kapitän 1. Ranges Wladimir Nishegorodzew. Gewürdigt wurde der gemeinsame Beitrag beider zur namentlichen Vervollständigung der Gedenkstätte für die gefallenen sowjetischen Soldaten in Ahlbeck auf Usedom. Unweigerlich gelangten wir zur aktuellen Konfrontationspolitik des Westens gegenüber Russland. Ich sah mich gedrängt, eine kurze Rede zu unseren marinehistorischen Beziehungen zu halten, auch etwas zur Genese der etwa 1000-jährigen Russophobie zu sagen und den geopolitischen Kontext der aktuellen Russlandhetze im historischen Westen „mit Ross und Reiter“ zu benennen. Zu meiner eigenen Verwunderung hat dies in offenbar klaren russischen Worten auch ohne jegliches Konzept geklappt (wohl deshalb, weil es auch so meine größte Sorge ist) und, ich wurde bestens verstanden. Es folgten angeregte, immer wohlwollende und herzliche Diskussionen zu den tiefen Wurzeln der russisch-deutschen Beziehungen. Das kann man im heutigen Deutschland (fast) keinem erzählen, - es glaubt sowieso (fast) niemand. Oder inzwischen doch wieder?! Das emotional Schönste aber war für mich beim anschließenden lockeren Empfang mit aus eigenen Mitteln liebevoll improvisiertem Buffet der spontane herzerwärmende Gesang der anwesenden Frauen!!!

   Der unstrittige Höhepunkt der Reise jedoch stand noch bevor, - unser Besuch der Parade und der anschließenden Festveranstaltungen in Baltijsk. Aus gemeinsamen Übungen mit der sowjetischen Flotte der 80er Jahre hatte jeder von uns seine Erinnerungen an diese Marinebasis und damit auch spezifische Erwartungen. Für den uneingeweihten Leser sei angemerkt, - dass Baltijsk als wichtigste russische Flottenbasis in der Ostsee nach wie vor militärisches Sicherheitsgebiet ist und der Besuch insbesondere von ausländischen Gästen (noch dazu aus einem nunmehrigen NATO-Staat) einer besonderen Genehmigung durch den FSB bedarf. Diese erhielten wir problemlos. Was wir dann jedoch nach einer fast einstündigen gemeinsamen Fahrt im Bus des Flottenstabes erlebten, übertraf alle unsere Vorstellungen. Wir waren nicht nur einfache Besucher, sondern sahen uns auch hier im Status von Ehrengästen, die die Parade an Bord des Begleitschiffes faktisch simultan „abnahmen“. Vor gut 30 Jahren fuhren wir auf selbigem Kurs zu gemeinsamen Übungen hinaus, nun nochmals in dieser würdigen Form! – Ein unbeschreibliches Gefühl! Es folgte noch ein herzliches Treffen mit Admiral Jegorow, Wladimir Grigorjewitsch, jenem Offizier, der während unserer Dienstzeit ab 1983 Kommandeur der besagten selbständigen Raketenschnellbootsbrigade in ?winouj?cie und 1991 Chef der Baltischen Flotte wurde. Der Kreis hatte sich eigentlich bereits geschlossen. Was ich zu all diesen würdigen Anlässen als deutlich unpassend empfand, war einzig unsere legere Anzugsordnung.

   Beim Kurzbesuch an Bord des kleinen Raketenschiffs vom Projekt 1234.1 „Syb“ (etwa: „Wellengang“) fand unsere wiederentdeckte Beziehungsgeschichte eine Fortsetzung. Der Kommandant, Kapitän 2. Ranges Belojarzew, Andrey Wladimirowitsch, - von uns nach seiner Herkunft befragt, äußerste zu meiner größten Verwunderung, dass er in Bergen auf Rügen geboren wäre. Bereits sein Vater diente in den 70er Jahren auf einem kleinen U-Jagdschiff in Sassnitz. Michail Pyresin, der uns über alle Tage nicht nur logistisch zur Seite stand, kannte diesen jungen Mann aus gemeinsamer Dienstzeit mit dessen Vater wie seinen eigenen Sohn. – Lebendige Generationenabfolge.

   Ein letztes Schlaglicht dieser Reise aus der Vergangenheit in die Zukunft – unser Besuch im Museum der Baltischen Flotte von Baltijsk. Nach einer speziellen Führung drängte der Museumsdirektor Fanil F. Walitow - natürlich ebenfalls ein Marineoffizier - auf einen Empfang in seinem Arbeitszimmer. Schnell fanden wir auch hier eine stabile Grundlage unserer Zusammenarbeit, - und dies im direkten Sinne des Wortes: Walitow zeigte uns nicht ohne Stolz das Originalpostament vom Denkmal des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg (1620 - 1688). Errichtet wurde dieses in unmittelbarer Nähe des Leuchtturms von Pillau im Jahre 1913. 1944 sollte es der Verschrottung in Hamburg zugeführt werden, seit 1955 aber steht es erneut (auf anderem Sockel) - in Eckernförde. In Baltijsk, dem ehemaligen Pillau, wurde die Position des Großen Kurfürsten 1998 von Peter I. besetzt. Dessen Denkmal fand hier seinen Platz aus Anlass des 300. Geburtstages der russischen Flotte. Soviel Symbolik verpflichtet. Und zwar Deutsche und Russen gemeinsam. Denn nicht erst seit 300 Jahren ist unsere Geschichte auf das Engste mit der russischen verwoben. Der Ostseeraum bot und bietet dazu das historisch gewachsene Kommunikationsmedium überhaupt. Es stimmt mich optimistisch, dass und wie dieses maritime Erbe in Russland im Sinne unserer Zukunft generationsübergreifend gepflegt wird.

   Als etwas problematisch erwies sich die Rückreise. Man sollte eben als Deutscher, der zudem aus Russland einreist, polnischen Grenzbeamten auf Polnisch gestellte Fragen nicht in Russisch antworten. Eine zeitraubende Tiefenkontrolle von Fahrzeug und Gepäck in einem separaten Gebäude war die zufällige Folge. Wir waren also wieder im NATO-Gebiet angekommen. Besser konnte die geopolitische Rolle des römisch-katholisch geprägten Polens in einem Jahrtausend Ost-West-Beziehung gegenüber dem russisch-orthodox geprägten Russland nicht illustriert werden.”

   Auch das Jahr 2017 sah uns wieder - nun bereits mit einer Delegation aus 6 Personen - in Kaliningrad. Dieses Mal mit einer Überraschung im Gepäck. Jürgen Brühmann aus Berlin, seit 1953 Sammler von Schiffsmodellen der russischen Flotte, führte einen Teil seiner Sammlung mit und erklärte in feierlichem Rahmen, dass er sein Lebenswerk dem “Museum des Weltozeans” in Kaliningrad (s. Beitrag) übergeben wolle. Die offizielle Vertragsunterzeichnung zu dieser Schenkung an das Museum erfolgte am 31.10.2017 in der russischen Botschaft in Berlin in Anwesenheit des Botschafters und Frau Siwkowa. Auch der Direktor des Museums der Baltischen Flotte in Baltijsk, den wir mit Kartenmaterial aus dem Preußischen Geheimarchiv in Berlin unterstützen konnten, empfing uns wieder. Zu all diesen Personen, zu Admiral Jegorow, Wladimir Raschewski, Michail Pyresin, Wladimir Nishegorodzew, Fanil Walitow und Swetlana Siwkova, hat sich in den Jahren eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut, die wir nicht mehr missen möchten.

Uns schien es, als hätten sie schon lange auf uns gewartet.

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